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Die Medaille auf Sultan Mohammed II.
in Goethes Sammlung
- Eine Rezeptionsstudie -

Jochen Klauss
money trend 4/2002 S.134-138

Hier Mohammed und nicht 'Mehmed' geschrieben.



Bertoldo di Giovanni, gen. Bertoldo von Florenz, Medaille auf Sultan Mohammed II., nach 1474

Spätestens seit Beginn seiner Übersetzung der Biographie Benvenuto Cellinis im Februar 1796 (die dann im Frühjahr 1803 bei Cotta erschien) trug sich Goethe mit der erklärten Absicht, Werke dieses italienischen Renaissancekünstlers zu erwerben, um die biographischen Fakten mit sinnlichbildlichem Material zu untersetzen. Dazu kamen nach Lage der Dinge nur Münzen oder Medaillen, deren technische Fertigung Cellini in seinen Memoiren selbst beschrieben hatte, in Frage. Neben anderen Gründen, die Goethe seit den neunziger Jahren bewogen, eine eigene Medaillensammlung anzulegen, seien hier lediglich zwei Überlegungen erwähnt: Während ihrer Kunststudien in Italien 1786/88 waren Goethe und sein späterer Freund und Hausgenosse Johann Heinrich Meyer zu der Erkenntnis gelangt, daß die Medaille als neuzeitliche Kunstform, entstanden im Quattrocento, ein kleinplastisches, handliches Relief darstellt, das stilistisch die jeweiligen Epochenmerkmale aufnimmt und somit die Entwicklungen der "großen" plastischen Kunst widerspiegelt und nachvollzieht. Nach 1790, der zweiten und letzten Italienreise Goethes, von den bedeutenden italienischen Kulturzentren abgeschnitten und auf die eingeschränkten Möglichkeiten des "kimmerischen Nordens" zurückgeworfen, erblickte der Weimarer Dichter und Kunstforscher in den Medaillen eine optimale Möglichkeit (da sie erschwinglich und verkehrstechnisch ohne Probleme über die Alpen zu transportieren waren), kunsthistorische Studien zur Entwicklung der Plastik seit dem 15. Jahrhundert "am Objekt" zu betreiben. Die Medaille als "handliches" (haptischer Effekt) und "beschauliches" (der "Augenmensch" Goethe!) Kunstwerk kam den Neigungen und Gewohnheiten des alten Goethe außerordentlich entgegen. Bis an sein Lebensende - also über mehr als dreißig Jahre hinweg - hat der Sammler vom Frauenplan deshalb emsig u.a. Medaillen zusammengetragen, eine Kollektion von knapp 2000 Objekten stand am Ende zu Buche; die wissenschaftliche Neubearbeitung dieses Corpus wurde bereits abgeschlossen und erschien anläßlich des 27. FIDEM-Kongresses als Zweibänder im September 2000.

Ein zweiter Grund für das hohe Interesse Goethes an Medaillen stellten zweifelsohne die Bildinhalte dar: "Merkwürdige Frauen und bedeutende Männer ihrer Zeit kunstreich abgebildet" vor sich zu haben bedeutete für den Sinnesmenschen nicht nur ästhetischen Genuß, sondern zugleich historisches Studienmaterial. Eine Medaillenfolge, in chronologische Reihung gebracht, sahen Goethe und Meyer als eine "histoire metallique". Besonders für den gigantischen Plan beider, eine allumfassende Kulturgeschichte Italiens zu verfassen (die bezeichnenderweise nicht zustandekam), stellten die Medaillen unverzichtbare und zugleich (im günstigsten Falle) originale Anschauungsstücke dar. Aus den genannten und anderen Gründen entwickelte Goethe seine Definition dieses Kunstgenres, die durchaus auch heute noch Gültigkeit beanspruchen darf. Im Zusammenhang mit einer geplanten Gedenkmünze auf den Kurfürsten von Mainz, Karl Theodor Anton Maria Reichsfreiherr von Dalberg, schrieb er dem Initiator des Unternehmens, Ferdinand Freiherrn von Lamezan, nach Mannheim: "Eine Medaille hat, durch ihre mögliche Verbreitung, durch ihre Dauer, durch Überlieferung der Persönlichkeit in einem kleinen Raum, durch Dokumentierung allgemein anerkannter Verdienste, durch Kunst- und Metallwert, so viel Vorzügliches, daß man, besonders in unseren Zeiten, Ursache hat, sie allen anderen Monumenten vorzuziehen."

Am 10. März 1830 vermerkte Goethe in seinem Tagebuch: "Geh. Kanzlei-Sekretär Müller. Brachte ... den Abguß einer alten Medaille von Mohammed II. durch einen Florentiner gefertigt. Ist auf alle Fälle ein bedeutendes Stück." War eine Neuerwerbung wie diese mit solch unbedingtem Lob verbunden, so konnte man aufgrund altausgeprägter Gewohnheiten sicher sein, daß sich zunächst eine intensive eigene Beschäftigung des alten Kenners mit dem Stück anschloß, sodann aber unverzüglich der fachliche Austausch mit Freunden und Gleichgesinnten entwickelte, bei denen Goethe die eigenen Erkenntnisse prüfte, korrigierte oder ergänzte und denen er - nicht zuletzt - ästhetischen Genuß vermitteln wollte. Provenienzfragen sind bei der Goetheschen Medaillensammlung zumeist nur sehr bedingt zu beantworten, weil entsprechende Handkataloge, die es gab, nicht überliefert sind. Die Mohammed-Medaille überbrachte der Geheime Kanzleisekretär Ernst Müller, der das weimarische Regierungsblatt herausgab. Er dürfte kaum der Besitzer oder Schenker dieser kostbaren Arbeit gewesen sein; es kann nur vermutet werden, daß das Stück im Auftrage eines Dritten, vielleicht eines Mitglieds der großherzoglichen Familie, in die Hände Goethes gelangte. Als der am 9. April 1830 erneut Müller traf, hatte er sich mittlerweile intensiv mit dem Künstler auseinandergesetzt: "Medaille von Mohammed II: durch Berthold, Gießer von Florenz." Wieder Wochen später, am 3. Juli, schwärmte Goethe gegenüber Sulpiz Boisserée überschwenglich, was nicht ohne Hintersinn war, wollte der ihm doch vorzüglich die "altdeutsche", d.h. gotische Kunst schmackhaft machen: "Zu meinen Medaillen aus dem 15. Jahrhundert hab ich ein wichtiges Stück erhalten; Sie erinnern sich, daß Mahomet II. nach Eroberung von Constantinopel italiänische Künstler dahin kommen ließ um sein Bildniß zu verfertigen. Diese Medaille, in Bronze gegossen, ist nach der Inschrift von Bertholdus, einem berühmten Florentiner, reichliche vier Zoll im Diameter und von unschätzbar gemüthlicher Arbeit; der Tyrann in Profil, stattliche Züge aber den tristest-innigen orientalischen Ausdruck des Auges! Auf der Rückseite führt ein Triumphwagen Asien, Trapezunt und Griechenland heftig mit sich fort. Übrigens sehr gut erhalten. Wo so ein Werk sich mag herumgedreht haben bis es doch endlich zu mir kommen mußte.
Ich will nicht untersuchen, ob dieser zu seiner Zeit geschickte und berühmte Künstler mit in Constantinopel gewesen, oder ob er sein Porträt nach mitgebrachten Originalzeichnungen anderer gefertigt, genug der Ausdruck ist erfreulich unmittelbar und man genießt gern des Anblicks wie es vorliegt."

Auf jene etwas altväterlich-herablassende Formulierung Goethes: "Sie erinnern sich, daß Mahomet II. nach Eroberung von Constantinopel italiänische Künstler dahin kommen ließ", wird noch einzugehen sein; vielleicht wollte der einundachtzigjährige Staatsminister hier auch ein wenig mit seinen historischen Kenntnissen kokettieren. Boisserées brieflicher Wunsch vom 28. August 1830, diese Medaille sehen zu wollen, erfüllte der Sammler. "Von Mahomet II. sende gelegentlich einen Gipsabguß." Dieser wurde in einem "Kistchen, in Packleinwand eingenäht", mit der fahrenden Post am 24. November 1831 nach Heidelberg auf die Reise geschickt, freilich nicht, ohne daß Goethe seine historischen Bemerkungen vom Juli des Vorjahres über Mohammeds Taten nun kunsthistorisch ergänzte und fortsetzte: "Dieser mächtige und fürchterliche Herrscher verlangte vom venetianischen Senat einen Maler, und man weiß, daß Gentile Bellini nach Constantinopel gegangen. Wenn man nun auch nicht anzunehmen braucht, daß der genannte Medaillen-Künstler Bertoldo auch daselbst gewesen, so gibt doch der Augenschein, daß das Profil nach einer vortrefflichen unmittelbaren Zeichnung gebildet sei. Ich bitte, das Licht von oben oder von der rechten Seite einfallen zu lassen, da Sie dann gewiß den Ausdruck eines in sich gekehrten orientalischen Herrschers bewundern werden. Die Medaille muß nach 1467 entstanden sein, als in welchem Jahre er das alte Reich Trapezunt vernichtet hatte, wovon er sich nun als Herrscher nennt. Die Rückseite ist auch dem Ende des funfzehnten Jahrhunderts ganz angemessen und erinnert, wie ähnliche Rückseiten, an Mantegna und seine Kunstverwandten."

Boisserées Antwort vom 15. Dezember 1831 zeugt von der Belesenheit des Briefschreibers und seinem Bemühen, den Diskurs auf dem hohen Standard des Empfängers fortzuführen: "Der Abdruck der Medaille von Mahomet dem Zweiten macht mir große Freude, ich erinnerte mich schon damals, als Sie mir zuerst von dieser Medaille schrieben, daß ich irgendeine Abbildung derselben gesehen; der Abdruck bestätigt mir dieses, indem er mir einen noch weit vollkommneren Begriff gibt. In welchem Werk ich übrigens die Abbildung gesehen, ob in d'Agincourts Histoire de l'Art, oder in Köhlers Münzbelustigungen, weiß ich nicht mehr. Cicognara spricht im vierten Buch, drittem Kapitel II. Fol. 66 seiner Stoira della Scultura von einer ähnlichen Medaille Mahomets, die er während seines Aufenthalts in Konstantinopel soll verfertigt haben mit der Legende: Gentilis Bellinus Venetus eques auratus comesque palutinus F. Aber, fügt er hinzu, diese Medaille sei mit einer gewissen Mühseligkeit behandelt und verrate die geringe Übung, welche Bellini in der Plastik gehabt, da hingegen die Arbeit von Bertoldo von einer großen Gewandtheit zeuge. Forschen Sie doch nach ob Sie die Medaille von Bellini nicht ausfindig machen können, es wäre merkwürdig, beide, wenn auch nur im Abguß, miteinander zu vergleichen."

Dazu kam es nicht mehr; Goethes Tod am 22. März 1832 unterbrach den konstruktiven Dialog mit Boisserée. Goethes und des Heidelbergers damalige Vermutung, Gentile Bellini habe die Vorlage für Bertoldos Guß geliefert, hat die moderne Forschung inzwischen bestätigt. Bertoldo war ein Schüler Donatellos und der Lehrer Michelangelos. Wie Donatello erfreute er sich der besonderen Gunst der Medici; 1488 erhielt er die Oberaufsicht im Museum der Medici-Sammlungen in der Orsini-Villa nahe bei San Marco. Auch die dortige Kunstschule für junge Bildhauer leitete Bertoldo bis zu seinem Tode am 25. Dezember 1491. Lediglich drei Werke sind ihm sicher zuzuschreiben: die Gruppe des Bellerophon mit Pegasus, gegossen von Adriano Fiorentino (heute im Hofmuseum Wien), das Relief der Reiterschlacht (heute Museo Nazionale in Florenz) und eben jene signierte Medaille auf Mohammed II.; weitere Zuschreibungen betreffen u.a. Reliefs, Statuetten und Medaillen.

In der Tat war Gentile Bellini 1479 nach Konstantinopel gereist, vor allem um den Sultan Mohammed II. zu porträtieren. Die einzige Medaille des Zeichners - Georg Francis Hill nennt sie "a very amateurish production" - entstand danach.13 Auch hier hatte Boisserée also recht, wenn er, unter Berufung auf Cicognara, eine "gewisse Mühseligkeit" in der Behandlung vermutete, die auf "die geringe Übung" Bellinis als "Bronzebildner" zurückging. Bellinis Vorlagen konnte Bertoldo nach dessen Rückkehr 1480 übernehmen. Es kann nur vermutet werden (auch aufgrund der verbliebenen Lebenszeit), daß Goethe den Vergleich der insgesamt drei verschiedenen Mohammed-Medaillen von Bertoldo, Bellini und Costanzo da Ferrara nicht mehr hat anstellen können. Weder verfügte er über entsprechende Abbildungen, noch hatte er Gipsabgüsse zur Verfügung. Mit dem Eintritt des orientalischen Tyrannen in Goethes Sammlung war diese "gar löblich vermehrt worden", eine letzte große Vermehrung gelang dann abschließend durch August von Goethes 1830 in der Lombardei erworbene Medaillen.

Mit der Geschichte des Osmanischen Reiches im 15. und 16. Jahrhundert war Goethe ohne Zweifel ausreichend vertraut, seine Bemerkung gegenüber Boisserée, sich dessen zu erinnern, also keine leere Floskel. Anders als heute waren die jahrhundertelangen erbitterten militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem christlichen "Abendland" und dem muslimischen Osmanischen Reich unmittelbar im Bewußtsein west- und osteuropäischer Völker. Das von Osman I. (1288-1326) im 14. Jahrhundert begründete Reich hatte seine Herrschaft durch ständige Eroberungen in weniger als drei Jahrhunderten, vor allem auf Kosten des brüchigen oströmischen Reiches, ausgedehnt und gefestigt. Murad I. (1359-1389) verlegte den Schwerpunkt seiner militärischen Aktivitäten erstmals nach Europa, er residierte in Adrianopel, das er 1361 erobert hatte. Zwar fiel er 1389 in der berühmten Schlacht auf dem Amselfeld, doch unterwarf er als Sieger die Serben für Jahrhunderte der türkischen Herrschaft. Kosovo Polje blieb bis in unmittelbare Gegenwart das Synonym für das blutige, scheinbar unversöhnliche Aufeinanderprallen ethnischer und religiöser Gegensätze, so wie die gesamte Balkanregion seit fast 700 Jahren von dem kriegerischen Ringen zwischen italienischen, österreichisch-habsburgischen, deutschen, polnischen und russischen Kräften einerseits und den Osmanen andererseits charakterisiert und zerrissen ist. Johann VIII. Paläologus (1425 1449) vorletzter, schon ohnmächtiger Herrscher von Byzanz, hatte sich 1438 hilfesuchend, doch vergebens, zum Konzil des Papstes Eugen IV. nach Ferrara begeben, um eine Union der griechischen und der römischen Kirche zwecks gemeinsamer Abwehr der anrennenden Türken zu erreichen. Das spektakuläre Ereignis führte zur Geburt der neuzeitlichen Medaille. Der Maler Antonio Pisano schuf 1438/39 eine Porträtmedaille auf den unglücklichen Kaiser, die sich als Bleiabguß auch in Goethes Sammlung findet.


Antonio di Puccio Pisano, gen. Pisanello, Medaille auf Johann VIII. Paläologus, 1438/39.

Das jahrzehntelang bedrohte Konstantinopel 1453 einzunehmen blieb Mohammed II. (1451-1481) vorbehalten, der die damalige Hauptstadt Ostroms zur eigenen Residenz erklärte. Unentwegte Eroberungen erweiterten das Osmanische Reich nach allen Richtungen und begründeten seinen Beinamen "el Fatich" (der Eroberer) oder "Büjük" (der Große). Er vernichtete die Reiche der Paläologen in Morea, der Komnenen in Trapezunt, führte Kriege gegen die Ungarn und Albaner, unterwarf endgültig Serbien und Bosnien, kämpfte mit der Walachei, gegen die Venezianer und Genuesen, gegen die Krimtartaren und die Perser. Allein dem Johanniterorden gelang es 1480, einen türkischen Angriff auf die Insel Rhodos abzuwehren. 1480 wendete sich Mohammed II. gegen Italien und Neapel; schon hatten seine Truppen Otranto eingenommen, da starb er überraschend. Sein Enkel Selim I. (1512-1520) und dessen Sohn Suleiman II. (1520-1566) schoben sich weiter in Richtung Mitteleuropa vor. 1521 fiel die ungarische Grenzfestung Belgrad, 1526 schlugen die Türken das ungarische Heer in der blutigen Schlacht von Mohacz und nahmen Ofen ein. Eine schöne Silbermedaille auf den Grafen Stephan Schlick, der in jener Schlacht sein Leben verlor, schuf der Künstler Utz Gebhard; auch dieses Stück in Form eines 1½fachen Talers liegt in Goethes Sammlung.


Utz Gebhard in Joachimsthal, 1½facher Taler auf den Tod von Stephan Schlick, 1526. Ø 42 mm.

Als es 1541 zu einem erneuten Krieg zwischen den Türken und den österreichischen Erblanden kam, stand ein Einfall der muslimischen Heere in den Westen Europas zu befürchten. In deutschen Städten und Dörfern wurden in der Mitte des 16. Jahrhunderts Türkensteuern erhoben, um alle Ressourcen des Reiches zur Abwehr des Feindes zu mobilisieren. Diese vielfach überlieferten Steuerregister sind heute wertvolle Quellen u.a. für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der betreffenden Orte und Regionen.

Als Suleiman II. 1566 vor dem vom Grafen Niklas Zrinyi erbittert verteidigten Sziget (Szigetvár) starb, hatte das Osmanische Reich seine Blütezeit überschritten, war die Periode der großen Sultane vorbei. Immer mächtigere Großwesire führten das allmählich bröckelnde Reich, Günstlings- und Haremswirtschaften nahmen langsam überhand. Die Schlacht von Lepanto 1571 markierte militärisch diesen Niedergang; Don Juan d'Austria, ein illegitimer Sohn Kaiser Karls V., ging als Sieger in die Geschichte ein. Eine Medaille auf diesen Feldherrn, geschaffen von Giovanni Melon, findet sich natürlich in Goethes Sammlung.


Giovanni Melon, Medaille auf die Schlacht von Lepanto, 1571. Ø 39 mm.

Schwere Niederlagen der Türken vor den Dardanellen 1656 durch die Venezianer, 1664 durch den österreichischen Feldherrn Grafen Raimund Montecuccoli erschütterten den Ruhm der türkischen Waffen weiter. Die vergebliche zweite Belagerung Wiens im Jahre 1683, die durch eine deutsch-polnische Armee unter Führung des Königs Johann III. Sobieski entsetzt wurde, leitete den endgültigen Rückzug der Türken aus Europa ein. Das denkwürdige Ereignis blieb lange und fest im deutschen Bewußtsein haften; Sobieski als der "Retter von Wien" war noch zur Zeit Goethes in fester Begriff. Auch das Abbild des Polenkönigs ist übrigens in der Medaillensammlung zu finden.


Giovanni Battista Guglielmada, Medaille auf König Johann III. Sobieski, 1686. Ø 65 mm.

Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts war dann vor allem von den türkisch-russischen Auseinandersetzungen geprägt, ehe die 1798 von Napoleon unternommene Ägyptische Expedition die Türken in die Kriegswirren des beginnenden 19. Jahrhunderts hineinzwang. 1821 schließlich begann der Freiheitskampf der Griechen, in dessen Folge eine vereinigte englisch-französisch-russische Flotte in der Seeschlacht von Navarino am 28. Oktober 1827 die türkisch-ägyptische vernichtend schlug (ein historisches Ereignis, dessen Spuren bis nach Weimar führen, wie am Schluß gezeigt werden wird). Das alles war Goethe im wesentlichen bekannt. Ohne ihn ausdrücklich einen Historiker nennen zu wollen, darf die Kenntnis dieser historischen Fakten vorausgesetzt werden. Sultan Mohammeds II. Medaille konnte die Sammlung sofort in einen bereits vorhandenen Kontext stellen, der durch zeitgenössische Lektüre ständig aktualisiert wurde. Nachdem Goethe im Juli 1815 das Buch des türkischen Autors Resni Achmed Effendi "Wesentliche Betrachtungen oder Geschichte des Krieges zwischen den Osmanen und Russen in den Jahren 1768 bis 1774" (Halle und Berlin 1813) vom deutschen Übersetzer Heinrich Friedrich von Diez zugeschickt bekommen hatte, muß er sich bald darauf genauer damit beschäftigt haben. Am 15. November antwortete Goethe: "Das weite Feld des orientalischen Studiums gibt mir sehr frohe Ansichten, leider fehlt mir die Kenntnis der Sprachen, an welche seit meiner Jugend kaum mehr denken können. Wie höchst schätzbar daher jene Vermittlung sei, die wir Ew.Hochwohlgeb. verdanken, darf ich nicht erst beteuern. Das Studium Ihrer Einleitungen in das Buch Kabus, sodann des Werkes selbst, vergegenwärtigt uns Sinn und Geist jener merkwürdigen Völker. Die Schrift Achmet Effendi setzt die neuere Denkweise und den gleichzeitigen Zustand ins hellste Licht, wie ich denn auch den 2. Teil der Denkwürdigkeiten, nach Ihrer gefälligen Zusage, zum voraus dankbar, erwarte."

Mit dem "weiten Feld des orientalischen Studiums" verwies Goethe freilich auf ein Werk das ihn zu jener Zeit und noch im Folgejahr 1816 weit intensiver beschäftigte, als das 1830 die Mohammed-Medaille tun sollte: die Divan-Gedichte des persischen Dichters Hafis.

Hafis, "der den Koran auswendig weiß" (eigentlich Shamsò d'-Din Mohammad (1326-1390) gilt als der Nationaldichter Persiens. Die "orientalischen Studien" von denen Goethe im Brief an den Übersetzer von Diez sprach, bezogen sich auf die gründliche Lektüre dieser persischen Lyrik in der Übersetzung Joseph von Hammers. Dieser österreichische Diplomat, lange im Orient tätig, der zehn Sprachen beherrschte, erwarb sich große Verdienste bei der Verbreitung von Kenntnissen über arabische, persische und türkische Kultur in Europa. Seine Übersetzung des "Divan" las Goethe seit Juni 1814 und führte über eine produktive Aneigung - in kriegerisch-unruhiger Zeit - zu eigner lyrischer Produktion: den "West-östlichen Divan".

Goethes Beschäftigung mit den "asiatischen Weltanfängen" und "die daher für mich gewonnene Kultur (schlingt sich) durch mein ganzes Leben", schrieb er bereits am 30. Juni 1812 an Friedrich Rochlitz, um prophetisch auf die daraus "noch manchmal unerwarteten Erscheinungen" zu verweisen, wie es der "West-östliche Divan" dann Jahre später eine war. So ist es durchaus nicht vermessen, mit Blick auf Spuren orientalischer Kultur in Goethes Leben einen geheimen verbindenden Faden zu knüpfen, u.a. zwischen den 1772 erfolgten Übersetzungen von Suren des Korans, der im Winter 1772/73 entstehenden lyrischen Dichtung "Mahomets Gesang", dem "Dramatischen Fragment. Mahomet", dem "West-östlichen Divan" 1814/15 und der Beschäftigung mit der Mohammed-Medaille Bertoldos 1830/31.



Ernst Rietschel, Goethe- und Schiller-Denkmal in Weimar, 1857.

Abschließend sei auf eine öffentlich versteckte Fortsetzung des "orientalischen Themas" in Bezug auf Goethe hingewiesen. König Ludwig I. von Bayern, ein großer Schillerverehrer, gehörte zu den rührigsten Initiatoren des Denkmalvorhabens für beide Dichter, das - nach der Absage Christian Daniel Rauchs - dessen Meisterschüler Ernst Rietschel ausführte. Den Guß des später berühmten Doppelstandbildes beider Geistesheroen in zeitgenössisch bürgerlicher Kleidung besorgte der erfahrene Ferdinand von Miller in München. Der Bayernkönig spendete dazu das notwendige Erz. Dieses Erz lieferten türkische Kanonen, die in der bereits erwähnten Seeschlacht von Navarino am 28. Oktober 1827 eingesetzt waren und schließlich in die Hände Ludwigs I. gelangten. Hier klingt auch die Erinnerung an das militärische Lebenswerk Mohammeds II. mit an. Ein Augenzeuge des spannenden und denkwürdigen Gußvorganges, Berthold Auerbach, berichtet über jenen ~ Mai 1857 in der Münchner Erzgießerei: "Der Moment des Gusses ist immer ein äußerlich unberechenbarer und innerlich gemütserregender. So viel auch Kunstfertigkeit und Sorgfalt vorbereiten mag, ist das Metall im Fluß, so gewinnt es fast eine selbständige Gewalt, und die Vollendung erscheint wie ein Segen, wie ein Geschenk. Sechs und zwanzig Stunden lang, von gestern Morgen acht Uhr an, mit einem Verbrauch von nahezu acht Klafter Fichtenholz, war die Masse bereitet.

Gegen sechzig bayrische Zentner jener türkischen Kanonen, die von der zerstörten türkischen Flotte bei Navarino aus dem Meeresgrund heraufgeholt wurden, waren jetzt hier im Fluß, um die Gestalten derer zu bilden, die aus dem tiefsten Grunde alles Daseins die edelsten Schätze gehoben und Allen zu Teil werden ließen.

Mit ziemlicher Genauigkeit konnte der Gußmeister die Stunde angeben, wann der Erzguß reif sei. Noch wurde jetzt als Letztes Zink und je auf einen Zentner der gesamten Masse fünf Pfund zerhackte Sousstücke dazugetan. Es hatte etwas Eigentümliches, daß zu den Standbildern der Geister, die so vielem bisher Unfaßbaren Gestalt und Gepräge gegeben hatten, jetzt Münzen von gemessener Wertbestimmung eingeschmolzen wurden."26

Das Denkmal wurde zum 100. Geburtstag Großherzog Carl Augusts am 4. September 1857 enthüllt und ist fast sofort zum Wahrzeichen der Klassikerstadt Weimar geworden.

Der Einschmelzung türkischer Kanonen zugunsten eines Denkmals, das die Ideale der Humanität verkündet, liegt eine tiefe Symbolik zugrunde.


Ernst Thevis / Fabian Rabsch, Goethe-Hafis-Denkmal in Weimar, 2000.

143 Jahre später, im Jahr 2000, wurde diese Symbolik in Weimar in einzigartiger Weise aufgegriffen und zeitgemäß vertieft: Anläßlich seines Staatsbesuches in der Kulturstadt Europas enthüllte der iranische Staatspräsident Khatami ein Goethe-Hafis-Denkmal, das, in Ost-West-Richtung auf dem Beethovenplatz aufgestellt, diese Traditionslinie fortsetzte. Nicht zuletzt ist in dieser Symbolik auch das Verhältnis von Ost und West, von Okzident und Orient, von Christen und Moslems einbegriffen. Die Welt ist am Anfang des 21. Jahrhunderts zusammengerückt. Der Europäer und Weltbürger Goethe faßte diese Erkenntnis schon vor fast 200 Jahren in die Verse:

"Wer sich selbst und andre kennt
Wird auch hier erkennen:
Orient und Occident
Sind nicht mehr zu trennen.

Sinnig zwischen beiden Welten
Sich zu wiegen lass' ich gelten;
Also zwischen Ost= und Westen
Sich bewegen, sei's zum Besten!"


Quellen:
Jochen Klauß, Goethe als Medaillensammler. Weimar, Köln, Wien 1994, besonders S.12-35.
Goethes Kunstsammlungen, beschrieben von Christ(ian) Schuchardt, zweiter Theil, Jena 1848, S.31-238 (Neudruck Georg Olms Verlag Hildesheim, New York 1976). - Jochen Klauß, Die Medaillensammlung Goethes. Bd.1: Bestandskatalog, Bd.2: Quellen. Berlin 2000.
Goethes Werke. Hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen (Weimarer Ausgabe)
Jean Baptiste Louis Georges Séroux D'Agincourt, Histoire de l'art par les monumens depuis sa décadence au siècle jusqu'à son renouvellement au XVI. siècle. Paris 1823. - in der Großherzoglichen Bibliothek, Bd.1-6. Signatur Th Mo, 1 a-f.
Johann David Köhlers ... im Jahre ... wöchentlich herausgegebener Historischer MünzBelustigung Th. 1-22 [Nebst] Vollständiges Register. Nürnberg 1729/50; 1764/65 - in: Goethes Bibliothek, Katalog. Bearb. der Ausgabe Hans Ruppert. Weimar 1958.
Cicognara storia della scultura. Venezia 1816 - nicht in Goethes Bibliothek.
Sulpiz Boiusserée, Bd.2, Stuttgart 1862, S. 583 f.
Georg Francis Hili, A corpus of Italien medals of the Renaissance before Cellini. London 1930, Bd.1.2. neu hrsg. v. John Graham Pollard. Firenze 1984, Bd.1.
Klauß, Bestandskatalog a.a.O.
Jochen Klauß, Polen in der deutschen Literatur von der dritten Teilung bis zum Novemberaufstand (1795-1830). Phil. Diss. Masch. Mskpt. 1982.
Wilfried Hausmann, Vollendung und Enthüllung, in: Das Denkmal Goethe und Schiller als Doppelstandbild in Weimar. Tübingen 1993, S.141.


Siehe: Medaillen auf Mohamed II,


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