Startseite Numismatische Texte

Wie indische Münzen geprägt wurden

Hans Herrli
MünzenRevue 3/19995 S.38-40



Eine Handvoll indische Rupien aus dem 16. bis 19. Jahrhundert

Während im Westen, in Kleinasien und Griechenland, die ältesten Münzrohlinge rund oder oval, dick und gegossen waren, wurden in Indien die ersten, im 6. vorchristlichen Jahrhundert entstandenen Münzen aus Stabbarren abgeschrotet und dann einzeln in die gewünschte Form gehämmert. Diese je nach Gebiet mehr oder weniger runden oder rechteckigen und meist unter ihrem englischen Namen "punchmarked coins" bekannten Münzen wurden nicht mit je einem Vorderund Rückseitenstempel beprägt, sondern erhielten mehrere kleine Bilder und Symbole einpunziert. Über die Bedeutung der einzelnen Punzen und ihrer in großer Zahl bekannten Kombinationen wurde schon ausgiebig gerätselt und geschrieben, doch gibt es dafür trotz einiger Fortschritte bis heute noch keine allgemein akzeptierte, das ganze Gebiet abdeckende und unumstrittene Erklärung.

Sowohl die Formen wie die Herstellungstechnik dieser frühen Münzen wirkten im indischen Münzwesen noch während gut zweieinhalb Jahrtausenden nach. Spätere Prägungen waren zwar in der weit überwiegenden Mehrzahl rund, doch viereckige, zuerst rechteckige, später gewöhnlich quadratische Münzen traten bis zum Ende der britischen Kolonialherrschaft im Jahre 1947 immerwieder auf. Manchmal, zum Beispiel in den Sultanaten Malwa und Kaschmir im 15. und 16. Jahrhundert oder zeitweilig im Mogulreich des Kaisers Akbar (1556 -1605) handelte es sich dabei um die übliche Münzform, manchmal, so in den Fürstenstaaten des 19. und 20. Jahrhunderts, wurden aber auch nur gewisse Sonderprägungen quadratisch ausgeführt.

Seit weit über zweitausend Jahren werden auch indische Münzen beidseitig mit Stempeln beprägt, doch die Schrötlinge für große Kupfermünzen und handgeschlagene Rupien, die, wenn auch zuletzt nur noch in geringer Zahl, bis 1947 entstanden, wurden nach wie vor in traditioneller Weise gefertigt. Die älteste Beschreibung des hierbei benützten Verfahrens, welches in Europa unbekannt, aber auch in Afghanistan und im Iran in Gebrauch war, findet sich im 'Ain-i-Akbari, einem am Ende des 16. Jahrhunderts zusammengestellten Handbuch des Mogulreiches. (Die hier wiedergegebenen Zeichnungen von Münzarbeitern entstammen einer späteren, illustrierten Ausgabe dieses Werkes.) Es ist aber unverkennbar, daß Abu-l-Fazl, der Verfasser des 'Ain, die Münzprägung hauptsächlich unter einem verwaltungstechnischen Aspekt sah, im wesentlichen nach Dokumenten und Angaben Dritter arbeitete und so oft eine recht wirre Beschreibung der Prägetechnik lieferte. Wesentlich klarer als im 'Ain-i-Akbari werden die Arbeitsgänge in einem 1794 verfaßten Bericht über die Münzstätte Bombay, eine Prägestätte der britischen Ostindien-Gesellschaft, die Münzen im Namen des jeweils in Delhi regierenden Mogulkaisers schlug, dargestellt:

"Das Metall wird in Form von Stangen in der Größe eines kleinen Fingers in die Münzstätte gebracht, wo eine Anzahl Männer, ausgerüstet mit Waagen und Gewichten, einem Hammer und einem Werkzeug, das ein Mittelding zwischen einem Meißel und einer Punze darstellt, auf dem Boden sitzen. Vor dem Platz jedes Mannes dient ein Stein als Amboß. Die Stangen werden nach Augenmaß in Stücke geschnitten und wenn sich diese als untergewichtig herausstellen, wird ein Metallstückchen in die zukünftige Rupie gehämmert; sind sie zu schwer, werden Stücke abgeschnitten, bis das genaue Gewicht erreicht ist. Diese Rohlinge gelangen dann zu einem zweiten Arbeiter, dessen ganze Ausrüstung aus einem Hammer und einem steinernen Amboß besteht. Er hämmert sie in eine annähernd runde Form, mit einem Durchmesservon ungefähr 7/8 Zoll und einer Dicke von 1/8 Zoll; damit sind sie für die Prägung bereit. Die Prägevorrichtung besteht aus zwei Teilen, der eine sitzt fest im Boden; den anderen, der ungefähr 8 Zoll lang ist, hält der Arbeiter, der auf seinen Fersen sitzt, in der rechten Hand. Er füllt seine linke Hand mit Schrötlingen, welche er mit Daumen und Mittelfinger und unvorstellbar geschwind auf den festen Unterstempel schiebt. Mit seinem Zeigefinger entfernt er die Münzen wieder ebenso rasch nachdem sie sein Helfer, ein Mann mit einem Schlegel, beprägt hat, eine Arbeit, welche dieser so schnell ausführt, wie er den Hammer heben und damit auf den Oberstempel in der rechten Hand des Münzers schlagen kann. Die Rupie wird anschließend an das Schatzamt geschickt und sie ist, weil kein Rändeln oder eine andere Bearbeitung für erforderlich gehalten wird, bereit für den Umlauf."


Der Stempelstecher


Einschmelzen alter Münzen und anderen Rohmaterialien und Gießen von Stabbarren


Formen der Schrötlinge


Prägen

Ergänzt wird diese Beschreibung durch eine zweite, rund 30 Jahre jüngere. Sie bezieht sich auf die leistungsfähige Münzstätte Chandore, eine damals ebenfalls von den Briten betriebene Prägestätte für Rupien. Diese ursprünglich einem mächtigen Marathenführer, Holkar, gehörende und im Dekkan, nördlich von Nasik gelegene Münzfabrik, fiel 1818 an die Briten und wurde von ihnen 1829 geschlossen:

"Jeder Mann erhielt eine gewisse Menge Silber der geforderten Reinheit, welche er in kleine Stücke zerteilte, rundete und wog. Dabei wurde mehr Sorgfalt auf ein genau eingehaltenes Gewicht als auf eine gleichmäßige Größe verwendet. Zu diesem Zwecke erhielt jeder der 400 Arbeiter eine Waage und Gewichte, welche der Vorsteher jede Woche überprüfte. Wenn die Arbeiter mit dem Gewicht ihrer Rohlinge zufrieden waren, übergaben sie diese dem Vorsteher, der sie zum Prägen sandte. Für das Prägen wurde ein Werkzeug, das einem Amboß glich, benützt. Dieses hatte in der Mitte eine Vertiefung mit eingravierten Buchstaben (d. h. den Unterstempel). Stück um Stück wurde in die Vertiefung geworfen, der Oberstempel wurde von einem Arbeiter, den man "batekari" nannte, gehalten und ein dritter Mann schlug mit einem sechspfündigen Hammer darauf. Drei Mann waren in der Lage stündlich 2000 Stück zu prägen oder 20000 in einem zehnstündigen Arbeitstag. Da der Stempel etwas größer war als der Rohling, trug nur selten eine Münze die vollständige Legende."

Die letzte Beobachtung des Berichtes wird wohl jedermann, der schon eine größere Zahl indischer, muslimischer Rupien oder Kupfermünzen betrachtet hat, auch gemacht haben. Die Fläche der Schrötlinge entspricht häufig nur der Hälfte oder einem noch kleineren Teil der Stempelfläche, doch beeinträchtigt dies, anders als bei westlichen Bildmünzen, die Ästhetik dieser indischen Münzen kaum. Ihr aufgrund des islamischen Bildverbotes nur aus kalligraphisch gestalteter Schrift bestehendes "Münzbild" ist jeweils so komponiert, daß ein beliebiger Ausschnitt für einen Leser zwar möglicherweise keinen erkennbaren Sinn mehr ergibt, unter einem künstlerischen Gesichtspunkt aber durchaus für sich bestehen kann. Warum die Münzen kleiner als die Stempel gemacht wurden ist nicht wirklich klar. Frühe europäische Reisende wollten den Grund meist in der technischen Unfähigkeit orientalischer Münzhandwerker sehen, eine Meinung, die angesichts der Tatsache, daß indische Mogulmünzen in der Reinheit und Gleichmäßigkeit ihrer Legierung selbst die besten Produkte Europas übertrafen und den meisten westlichen Stücken auch in der Prägequalität überlegen waren, von einer beträchtlichen, durch Unkenntnis genährten Arroganz zeugt. In Wirklichkeit entstanden die ersten dieser Münzen wahrscheinlich ohne besondere Absicht, als vorhandene Münzen mit einem größeren Stempel überprägt wurden. Später scheint man das Prägeverfahren, bei dem jede Münze erkennbar verschieden ausfiel, als Schutzmaßnahme gegen Gußfälschungen eingesetzt zu haben. Zeigten mehrere Münzen identische Ausschnitte der Vorder- und Rückseitenlegenden, so deutete dies auf eine Fälschung hin, denn eine solche multiple Identität konnte nicht beim Prägen, sondern nur durch den mehrmaligen Abguß der gleichen Vorlage entstehen. Gegen Fälscher, welche sich die Mühe machten, Stempel zu schneiden, half das geschilderte Verfahren allerdings wenig, denn neben den meisten Prägestempeln waren auch zahllose Siegelstempel nach einem weitgehend einheitlichen, gut bekannten und leicht zu imitierenden kalligraphischen Schema aufgebaut. Daß ein Bedürfnis bestand, sich gegen Fälscher zu schützen, zeigen die tiefen Prüfkerben, durch welche Rupien für den Sammler oft verunstaltet werden und die kleinen, gepunzten, chinesischen "chop marks" gleichenden Prüfzeichen von Geldwechslern und Bankiers. Da nicht alle Arten von Rupien den selben Bekanntheits - und Beliebtheitsgrad aufwiesen, waren auch nicht alle im gleichen Maße fälschungsgefährdet. Gewisse Typen zeigen daher kaum Prüfzeichen, andere aber fast regelmäßig in größerer Zahl. Allerdings finden sich die Punzen bei Rupien, anders als bei den in China umlaufenden Münzen, häufiger auf dem recht breiten Rand als in den Schriftfeldern.

Die Beschreibung der Münzstätte Chandore enthält außer technischen Angaben zur Münzherstellung auch solche zum Ausstoß der Prägestätte. Allerdings sind die letzteren so unklar, daß sie praktisch nutzlos sind. Mit Sicherheit kann es nicht so gewesen sein, daß 400 Mann, die Schrötlinge herstellten, einer einzigen Prägemannschaft zuarbeiteten. Im Lichte moderner industrieller Erfahrungen scheint es auch höchst unwahrscheinlich, daß ein Prägeteam von zwei Mann eine Stundenleistung von 200 Rupien (oder rund 33 Stück in jeder Minute) über einen zehnstündigen, pausenlosen Arbeitstag durchhielt. Zuverlässiger als die meist von produktionstechnischen Laien aus der Erinnerung verfaßten Berichte geben erhaltene Kostenabrechnungen über die Leistungsfähigkeit indischer Münzstätten Auskunft. Aus ihnen ist ersichtlich, daß die mit einer sehr einfachen Technologie arbeitenden, Münzen von Hand schlagenden Prägestätten ihren Ausstoß sehr flexibel der Nachfrage anzupassen vermochten. Wo der Nachschub an Münzmaterial gesichert war, konnten die größeren unter ihnen dabei ohne weiteres eine Tagesleistung von 50000 Rupien und mehr erbringen.

Im 19. Jahrhundert wurden die britisch-indischen Münzen immer mehr zu einer auch außerhalb des direkten britischen Machtbereiches akzeptierten, gemeinindischen Währung. Damit stieg der Bedarf an diesen Münzen stark an, doch nahm zur gleichen Zeit die Zahl der für die Münzversorgung des Landes wirklich wichtigen Münzstätten ab. Die rasch fortschreitende Mechanisierung ermöglichte das Erzielen beträchtlicher Produktivitätsgewinne, aber nur zum Preise der Konzentration der Münzherstellung in wenigen großen und leistungsfähigen Einheiten. So war die 1829 von Major John Hawkins im Auftrage der Ostindischen Gesellschaft mit Kosten von 1350000 Rupien erbaute Münzstätte Bombay für eine tägliche Produktion von 150000 Münzen ausgelegt und für die nur wenig jüngere britische Münzstätte Kalkutta wurde im Jahre 1833 für einen 7stündigen Arbeitstag schon eine Prägeleistung von 216000 Rupien angegeben. Allerdings handelte es sich in diesem Falle um eine nach modernsten Gesichtspunkten errichtete und mit fünf der in England von Watt und Boulton entwickelten Dampfmaschinen ausgerüstete, industriell arbeitende Münzfabrik.

Quellen:
• Moor, E.: A Narrative of Captain Little's Detachment and of the Maratha Army, commanded by purseram Bow; during the late Confederacy in India, against the Nawab Tippoo Sultan Bahadur, London 1794, S.499-500.
• Gazetteer of the Bombay Presidency, XVI, Nasik, S.429.
• Prinsep, James: Useful Tables, forming an Appendix to the Journal of the Asiatic Society ... , Calcutta 1834.


Startseite Numismatische Texte coingallery.de