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Kaiser und Könige im Alten Deutschen Reich

Walter Holtz
in: money trend 4/1978, S.18f


Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation herrschte das Wahlkönigtum, eine Erbmonarchie gab es im Reich nicht.
Die Wahl oblag ursprünglich allen Reichsfürsten. Dann bildete sich eine Gruppe von Fürsten heraus, die an der Wahl mitwirken mussten, deren Stimme unentbehrlich war.

Die Kurfürsten
Auf sie ging schliesslich das Wahlrecht ganz über. Der Sachsenspiegel (um 1230) nennt als Kurfürsten die Erzbischöfe von Mainz, Trier, Köln, den Pfalzgrafen bei Rhein, den Herzog von Sachsen und den Markgrafen von Brandenburg. Den König von Böhmen schliesst der Sachsenspiegel von der Wahl aus, "weil er nicht deutsch ist".
Die auf den Reichstagen zu Nürnberg und Metz 1356 zum Reichsgesetz erklärte "Goldene Bulle" Kaiser Karls IV. bestätigte den sieben Kurfürsten ihr ausschliessliches Recht zur Königswahl mit der Mehrheit ihrer Stimmen. Der König von Böhmen wird ausdrücklich als wahlberechtigter Kurfürst anerkannt. Dies beruhte darauf, dass Kaiser Karl IV. als Sohn des Königs Johann von Böhmen 1316 in Prag geboren war und in Prag residierte (wo er auch 1378 gestorben ist). Er ordnete das Stimmrecht von Böhmen sogar vor dem der Pfalz, vor Sachsen und Brandenburg ein. Kur-Mainz erhielt das Recht zur Einberufung der Wahlversammlung und zum Vorsitz; das schloss das Vorschlagsrecht für den Anwärter ein.
1623 verlor die Pfalz infolge ihres böhmischen Abenteuers ihr Kurrecht an Bayern, bekam aber 1648/1654 erneut eine Kurstimme, die achte. 1692 wurde die Zahl der Kurfürsten auf neun erhöht, indem der Herzog von Braunschweig-Lüneburg nach dem Aussterben der Calenberg-Göttinger Linie von Kaiser Leopold I. mit der Kurwürde und den damit verbundenen Rechten - "Electrorali Dignitate eiusque annexis iuribus", wie es auf der Bronzemedaille 1692 von Braunschweig-Calenberg zur Erlangung der Kurwürde heisst - in feierlicher Form "solemni ritu" belehnt wurde. Seine Aufnahme in das "Kurkolleg" verzögerte sich allerdings noch um 18 Jahre bis 1710, weil bis dahin der Streit über das auszuübende Erzamt nicht beigelegt werden konnte 1). Hannover führte solange den für das Kurwappen vorgesehenen Herzschild als sogenannten Warteschild leer.


1710 wurde Hannover das Erzschatzmeisteramt verliehen, das infolge Ächtung Bayerns und Rücknahme des angestammten Erztruchsessamtes durch die Pfalz freigeworden war.
1718 beanspruchte die Pfalz das Erzschatzmeisteramt zurück, weil sie das Erztruchsessamt nach Aufhebung der Acht über Bayern auch dieses zurückgeben musste. Sowohl die Pfalz wie Hannover hielten sich für den rechtmässigen Erzschatzmeister des Reiches, führten zu gleicher Zeit die Bezeichnung Erzschatzmeister - auf Münzen in der lateinischen Form Archi-Thesaurarius, A.T. - und verwendeten als Kurabzeichen die Reichskrone.
Der Streit wurde erst 1777 endgültig beigelegt, als die Pfälzer Wittelsbacher von Bayern mit dem Land die Erztruchsesswürde erbten und das Erzschatzmeisteramt hierdurch endgültig frei wurde.

Die Königswahl
Die Kurfürsten wählten zu Lebzeiten des Kaisers in seiner Gegenwart den Nachfolger (Futurus Imperator, künftiger Kaiser). Die Wahl fand seit 1152 fast ausnahmslos in Frankfurt am Main statt; dieser Ort wurde in der Goldenen Bulle von 1356 zum Wahlort des deutschen Königs bestimmt. Gelegentlich fand die Wahl aber auch anderwärts statt. So wurde 1690 der Sohn Kaiser Leopolds I. (1658-1705). Joseph, in der Sakristei der St. Ulrichskirche zu Augsburg als Leopolds Nachfolger gewählt, worüber sich eine Medaille verhält.
Wahl und Krönung waren getrennte Vorgänge. Demzufolge fielen Wahltag und Krönungstag nicht zusammen.
Am Wahltag führte der Wahlkonvent (die Zusammenkunft der Kurfürsten oder ihrer Wahlbotschafter zur Wahl des Römischen Königs, auch "Churfürstlicher Collegial-Tag" genannt) das eigentliche Wahlzeremoniell durch, das die Feststellung der Wahlkapitulation2), den Wahlentscheid und die feierliche Beschwörung der Wahlkapitulation durch den Gewählten zum Gegenstand hatte. Alsdann wurde der Neugewählte zum Römischen König ausgerufen.
Der Krönungstag brachte den Einzug des Kaisers und des neu gewählten Königs in die Krönungsstadt. Zur Krönung wurden die Reichskleinodien - Krone, Schwert, Zepter und Reichsapfel - als die symbolischen Schmuckstücke der Königskrönung aus Nürnberg oder Aachen herbeigeschafft, sie bekamen einen Ehrenplatz in einem besonderen Wagen des Festzuges.

Die Aufgaben der geistlichen Kurfürsten bei der Krönung
Die Krönung, zu der auch die Salbung gehörte, oblag den drei rheinischen Erzbischöfen und Erzkanzlern3). Der Erzbischof von Mainz (von 1024 bis 1562 der von Köln) war der rechtmässige Coronator (Kröner) des Königs. Der Erzbischof von Trier vollzog die Inthronisierung. Im Aachener Münster ist der hierfür verwendete marmorne Königsstuhl noch vorhanden. Die Thronbesteigung wird gegenüber der Krönung für den entscheidenden Teil der Krönungszeremonie gehalten. Durch Wahl und Krönung wurde der Gewählte König.

Die Aufgaben der weltlichen Kurfürsten bei der Krönung
Die weltlichen Kurfürsten hatten nach Massgabe des von ihnen innegehabten Erzamtes durch ihre mit der Ausübung der Erzämter erblich belehnten Vertreter symbolische Dienstleistungen zu erbringen, die den König als Hausherrn und Hausvater im Reich auswiesen. Goethe, der die Krönung Josephs II. am 3. April 1764 miterlebt hat, beschreibt sie in "Dichtung und Wahrheit", Erster Teil, 5. Buch, wie folgt, wobei auf die von der Goldenen Bulle abweichende Reihenfolge hinzuweisen ist:
"Der Erbmarschall holte ein silbernes Gefäss voll Hafer und versorgte damit symbolisch den Marstall. Der Erbkämmerer brachte ein Waschbecken nebst Kanne und Handtuch zurück. Der Erbtruchsess trug auf silberner Schüssel ein Stück von dem gebratenen Ochsen zum Römer. Sodann ritt der Erbschenk zum Springbrunnen und holte Wein für die Tafel. Schliesslich streute der Erbschatzmeister aus Beuteln, die mit dem kurpfälzischen Wappen4) bestickt waren, vom Pferde herab Gold- und Silbermünzen aus und warf zuletzt die Beutel selbst noch in die Menge."
Bei dem Festmahl im grossen Römersaal sass der Kurfürst von Mainz dem Kaiser (Franz I., dem Gatten Maria Theresias und Vater Josephs II.) und König (Joseph II., damals 23 Jahre alt) gegenüber, Kurtrier sass zur Rechten, Kurköln zur Linken, alle auf einzelnen Estraden. Die Tische der fünf weltlichen Kurfürsten blieben unbesetzt (die Gesandten speisten in einem Nebenraum), so dass "dadurch der grösste Teil des Saales ein gespensterhaftes Aussehen bekam". Hierdurch wurde "das Missverhältnis offenbar, welches zwischen den weltlichen Kurfürsten und dem Reichsoberhaupt durch Jahrhunderte allmählich entstanden war". (Vgl. Richard Wagner, "Meistersinger", Schlussszene: "Zerging' in Dunst das Heil'ge Röm'sche Reich ... ")

Römischer König und Römischer Kaiser
Der Gewählte führte nach seiner Krönung mit der Königskrone (einem offenen Kronreif) - sie fand in Aachen oder in Frankfurt statt - den Titel "Römischer König", auch "in Germanien König" (GERManiae REX), seine Gemahlin hiess "Römische Königin", Romanorum Regina. Mit dem Tode des Kaisers trat er ohne weitere Wahl das Amt des Kaisers an, eine besondere Kaiserwahl gab es nicht.
Zum Erwerb der Kaiserwürde bedurfte es bis zu Kaiser Karl V. 1530 allerdings noch der Krönung durch den Papst mit der Kaiserkrone, einer geschlossenen Krone, deren Bügel als Zeichen der Weltherrschaft galt. Der Gekrönte führte dann den Titel "(Erwählter) Römischer Kaiser", auf Münzen in lateinischer Sprache: (Electus) Romanorum Imperator, seine Gemahlin (auch als Witwe) "Römische Kaiserin, Romanorum Imperatrix". Nach 1530 wurde die Regierungsgewalt durch die Eidesleistung auf die Wahlkapitulation erworben.
Die seit Friedrich I. Rotbart (1152-1190) üblich gewordene zusätzliche Krönung mit der Eisernen Krone der Langobarden oder Lombarden (einem breiten, mit Edelsteinen besetzten Reif, der innen mit einem schmalen eisernen Band zusammengehalten ist, das von einem Nagel des Kreuzes Christi stammen soll) war ohne rechtliche Bedeutung. Als erster deutscher König war 774 Karl der Grosse mit der lombardischen Krone gekrönt worden, als letzter im Römisch-Deutschen Reich Karl V. 1530. 1805 hat sich Napoleon mit der Krone der Langobarden zum König von Italien gekrönt, 1838 Ferdinand als Kaiser von Österreich (1835-1848).
Die Kaiserwürde des Römisch-Deutschen Reiches, das heisst den Titel "Römischer Kaiser", dazu die Titel "Deutscher König" (gleichbedeutend mit "in Germanien König", Germaniae Rex) und "Herzog von Venedig" (Venetiarum Dux), hatte sein Vorgänger Franz II. am 8. August 1806 niedergelegt.
Damit endete das Römisch-Deutsche Reich, eine auch numismatisch bedeutsame Epoche des Abendlandes war zu Ende gegangen. Der letzte Römisch-Deutsche Kaiser hatte sich bereits 1804 zusätzlich zum "Kaiser von Österreich" - auf Münzen nach 1806 IMPerator AVSTRiae - erhoben und sich als solcher Franz I. genannt.



Anmerkungen
1) Die Belehnung mit dem "Erzpanneramt" erregte nämlich den Widerspruch des herzoglichen Hauses Württemberg, weil dieses das Reichspanier (Reichsbanner) seit altersher geführt hatte. Karl der Grosse soll den Schwaben das "Recht des Vorkampfes" verliehen haben. Deshalb führte Württemberg die "Reichssturmfahne" mit dem einköpfigen Adler schon seit 1495 im Wappen. Württemberg erhielt vom Kaiser Recht.
2) Die Wahlkapitulation war die von den Kurfürsten abgefasste, in Kapitel eingeteilte (daher die Bezeichnung), von dem künftigen Kaiser zugestandene Beschränkung seiner kaiserlichen Rechte, sein vertragsmässig abgegebenes Wahlversprechen. Die Verhandlungen über sie bildeten den bedeutsamsten Teil der Wahlvorbereitungen. Seit 1711 diente den Kurfürsten die "beständige Kapitulation" als Vorlage. Nach den Wünschen der Reichsstände wurde sie bei jeder Wahl in Einzelheiten abgeändert oder erweitert.
3) Die Bezeichnung Erzkanzler geht auf die ursprüngliche Steilung als Erzkapellan zurück; er führt die Aufsicht über das königliche Urkundenwesen, die Kanzlei (Verfertiger und Schreiber der königlichen Urkunden waren Hofgeistliche). Anstelle des Titels Erzkapellan bürgerte sich seit der Mitte des 11. Jahrhunderts der schon vorher verwendete Titel Erzkanzler ein.
4) Die Königskrönung von 1764 fällt in die Zeit des Streites der Pfalz mit Hannover um die Führung des Erzschatzmeisteramts 1718 bis 1777. Aufgrund ihrer älteren Rechte nahm die Pfalz die Repräsentationspflichten des Erzschatzmeisters wahr.


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