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Segovia und seine Münzstätte

Frieda Pisch
MünzenRevue 12/2003 S.18-20


Gibt es wirklich noch Menschen, die behaupten, der einzelne vermöge nichts in unserer Gesellschaft? Gerade unter den engagierten Numismatikern gibt es genügend Beispiele, die das Gegenteil beweisen. Hier eine Geschichte, die Mut macht, die Geschichte der Münzstätte von Segovia.

Die Stadt Segovia ist uralt. Schon auf iberokeltischen Münzen erscheint der Stadtname. Ihr Wahrzeichen, das auch zum Münzzeichen werden sollte, verdankt Segovia den Römern. Die bauten einen prächtigen Aquädukt, dessen Bögen heute noch in der Altstadt ein bestaunter Anziehungspunkt von Touristen sind.


Abb. 1.: Die Bögen des Aquäduktes von Segovia wurden zum Münzzeichen der Stadt.


Das älteste Dokument, das wir zur nachantiken Münzprägung in Segovia haben, stammt aus dem Jahr 1136. Damals gab der kastilische König Alfonso VII. der Stadt das Privileg, Münzen zu schlagen, unter der Bedingung, daß ein Viertel des Prägegewinns für den Bau der neuen Kathedrale zu verwenden sei. Wir wissen nicht, wo diese erste Münzstätte lag. Erst für das Jahr 1455 können wir sie lokalisieren. Die Gebäude standen damals in Sichtweite des Aquädukts. Seit diesem Zeitpunkt finden wir die Bögen der römischen Wasserleitung als Münzzeichen auf den Prägungen Segovias.

Was man zu Beginn der Neuzeit damals in dieser Münzstätte herstellte, sah ungefähr aus wie die abgebildete Münze aus Toledo (Abb. 2): unregelmäßig, krude, kein genau definierter Rand.


Abb. 2: SPANIEN. Felipe III., 1598-1621. 4 Reales 1613, Toledo. C.T.215. Auktion UBS 55 (2002) 4134

Und gerade letztere Tatsache machten sich schlaue Zeitgenossen zu Nutze. Sie beschnitten die Münzen, die durch ihre Hände gingen, knipsten mit einer Zange die überstehenden Ränder ab und gewannen so bei jedem Stück ein bißchen Silber. Im 17. Jahrhundert hatten diese Münzen ja schon einen Nominalwert, in unserem Fall von 4 Reales und wenn der Händler nicht genau hinschaute und das beschnittene Stück nicht bemängelte, dann hatte man bei jedem Einkauf den Bruchteil eines Gramms Silber gespart. ... Da kam es dem spanischen König recht, daß seine Verwandten in Tirol erste Erfahrungen mit einer bahnbrechenden Neuigkeit in der Münzprägung gemacht hatten. In Hall hatte sich das erste Walzenprägewerk bewährt. Was lag nun näher, als bei den Verwandten mal anzufragen, ob die nicht technische Hilfe leisten konnten?

Im Jahr 1580 sagte der Tiroler Erzherzog seinem Cousin Philipp II. von Spanien Hilfe zu. Er schickte ein paar Fachleute, die zwei Jahre lang, zwischen 1582 und 1583 in ganz Spanien herumritten, um den optimalen Platz für eine neue Prägestätte zu finden. Man dachte über Toledo nach, über Madrid und Lissabon, wo sich überall ebenfalls wichtige königliche Münzstätten befanden. Eigentlich härten die Österreicher Sevilla als neuen Standort der Prägestätte vorgezogen, weil dort das Gold und Silber aus der neuen Welt ankam und der gefährliche Transport des ungeprägten Silbers hätte vermieden werden können. Doch der König bevorzugte Segovia, das nahe seiner Hauptstadt lag, wo der größte Teil der Zahlungen erfolgte.

Im Jahr 1583 entschied man sich für den Platz, wo heute noch die Ruinen der Münzstätte zu sehen sind. Ursprünglich nutzte eine Papiermühle die reichen Wasser des Rio Eresma, der in Zukunft die Walzprägewerke antreiben sollte. Man kaufte den Grund, und Philipp II. zog seinen bedeutendsten Architekten, Juan de Herrera, der gerade am Escorial beschäftigt war, von seiner bisherigen Arbeit ab und gab ihm den Befehl, so schnell wie möglich die neue Münzprägestätte zu bauen (Abb. 3 - 5).


Abb. 3: Die Münzstätte von Segovia von oben gesehen. Der große gelbe Bau über den niederen Gebäuden aus dem 16. Jahrhundert stammt aus späterer Zeit.


Abb. 4: Das Wasser des Rio Eresma strömt noch heute durch die Bögen der Kanäle, die es zur Münzstätte hin leiten.


Abb. 5: Ein Blick in den Innenhof der verfallenen Münzstätte. Vorne rechts das Gebäude, in dem sich einst das Walzprägewerk befand, dahinter die Unterkünfte für die Kaufleute, die ihr Silber und Gold nach Segovia brachten, um es dort ausmünzen zu lassen, ganz hinten das Gefängnis für Münzbeamte, die sich am Reichtum des Königs vergangen hatten.

Der König selbst besuchte die Baustelle, um die Arbeiten zu beschleunigen. Gleichzeitig entstanden ein paar 1000 Kilometer entfernt zwei Walzprägewerke in Hall, die - vollendet im Frühsommer 1584 - mühsam über den Landweg nach Genua transportiert wurden, um am 2. Oktober 1584 von Genua aus nach Spanien verschifft zu werden. Doch kaum hatte der Konvoi Barcelona erreicht, starb der Münzmeister und der Transport wartete 3 Monate, bis ein neuer Fachmann aus Tirol angekommen war. Endlich, am 1. Juni 1585 erreichte das Walzprägewerk Segovia. Man baute die Maschinen auf und konnte im März 1586 mit der Münzprägung beginnen. Die ersten 100 Münzen wurden auf Befehl des Königs nicht an irgendwelche hohen Beamten in Spanien verteilt, sondern an die Ärmsten der Armen. Ja, nun sahen die Münzen von Segovia anders aus als die, die in anderen Prägestätten geprägt wurden (Abb. 6).


Abb. 6: SPANIEN. Felipe IV., 1621-1665. 8 Reales 1630, Segovia. C.T.277. Auktion UBS 55 (2002), 4136.

Indem die Münzen nach der Prägung ausgestanzt wurden, erreichten die Techniker einen so klar definierten Rand, daß auch der geschickteste Heimwerker ihn nicht mehr beschneiden konnte. Links im Feld sah man das Münzzeichen von Segovia, die Bögen des Aquädukts, darunter die Initialen des Mannes, der den Feingehalt der Münze und ihr Gewicht überprüft hatte. Sollte man übrigens einmal eine Münze aus Segovia entdecken, die diese Initialen nicht trägt, dann ist sie das Zeugnis eines Betruges, den der König selbst aus Finanznot anordnete. Die Stücke ohne diese Kontrollmarke haben nämlich einen geringeren Feingehalt als die, die die Initialen tragen. Das Fehlen des "Garantiezeichens" sollte den König vor der Sünde der Münzverschlechterung bewahren: Schließlich konnte ja jeder sehen, daß er nicht die Verantwortung für dieses Stück übernahm.

Die Münzprägung in Segovia wurde zu einem vollen Erfolg, und das in dem Maße, daß Philipp IV in 10 weiteren Städten seines Reiches solche Prägewerke anlegen ließ. Dieses Mal holte man sich die Arbeiter nicht aus Hall. Einheimische Katalanen kopierten die tiroler Technik. Doch die neuen Münzstätten waren eigentlich überflüssig. Immer weniger Silber kam aus den Kolonien, um in Spanien geprägt zu werden. Die vielen Kriege, die die spanischen Habsburger in Deutschland, Frankreich und Italien führten, hatten das Reich ruiniert, der spanische Erbfolgekrieg nach dem Aussterben der Habsburger die Finanzen völlig in Unordnung gebracht. So blieb nur Segovia übrig als Münzstätte, wo mit dem Walzprägewerk gearbeitet wurde, bis man im Jahr 1772 eine neue Technik einführte: den Balancier.


Abb. 7: Die Überreste eines Balanciers aus der Münzstätte Segovia. Er wurde nach dem Abzug
der Münzbeamten aus der Stadt zerstört, damit kein Unbefugter ihn zur Herstellung
von Fälschungen nutzen konnte.

Die Walzprägewerke wurden aber nicht verschrottet, sondern weiter benutzt, um die Zaine, die Metallstreifen, aus denen man die Schrötlinge herstellte, auf die richtige Dicke zu bringen.

Das Ende der Münzstätte Segovia kam im Jahr 1855. Königin Isabella II. plante, in Madrid eine neue Prägestätte zu bauen, deren Maschinen mit Dampfkraft getrieben werden sollten. Um diese teure Technik zu finanzieren, verkaufte sie Maschinen, Gebäude und Grundstücke aller anderen Münzstätten in Spanien. Dies war übrigens gar nicht so einfach. Erst im Jahr 1878 fand sich ein Abnehmer für das Gelände von Segovia. Ein Müller kaufte die Anlagen, wo bis zum Jahr 1968 seine Nachfahren Getreide zu Mehl mahlten.

Ja, und seit 1968 - nachdem die Mühle Konkurs gegangen war - verwandelten sich die Industriegebäude immer mehr in Ruinen. Es ist einem Mann zu verdanken, daß die Numismatik sich dieses hoch bedeutenden Erbes bewußt wurde und man mittlerweile Schritte unternimmt, um die Münzstätte von Segovia wieder herzustellen. Glenn Murray, ein in Segovia lebender Amerikaner, widmet seit Jahren seine ganze Energie den Ruinen der Münzstätte und sein Traum scheint Wahrheit zu werden. Im Jahr 1989 kaufte Segovia das Gelände der Münzstätte. 1998 konnte ein Vertrag ausgehandelt werden zwischen der Stadt, dem Parlament von Kastilien und Leon und dem Ministerium für Entwicklung, in dem festgelegt wird, welches Gremium sich in welchem finanziellen Rahmen an der Wiederherstellung der Münzstätte beteiligt. Und schon träumt Glenn Murray von einem Zentrum der Numismatik, wo ein Besucher erleben kann, wie Metall probiert, Schrötlinge hergestellt und Münzen geprägt werden. Ein malerisches Restaurant mit Blick auf den Alkazar soll entstehen und natürlich ein großer Souvenirshop, in dem der Besucher eine in Segovia geprägte Medaille kaufen kann, eingewickelt in Papier, das ebenfalls in Segovia hergestellt wurde (schließlich war in den Gebäuden auch einmal ein Papierhersteller beheimatet).

Wer mehr über die Münzstätte von Segovia erfahren will, wer sich gar mit einer Geldspende an deren Wiederaufbau beteiligen möchte, der erfährt alles Wissenswerte auf der Website der Münzstätte.


Abb. 8: Glenn Murray, der Mann, dem die Numismatik es verdankt, daß die Münzstätte von Segovla nicht restlos verfallen wird.


Siehe auch Heinz Moser: Die Münzstätte Hall in Tirol im 15. und 16. Jh. und ihre Beziehungen zu Spanien


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