Startseite Numismatische Texte

Die Kunst der Brakteaten zur Zeit Heinrichs des Löwen
Wilhelm Jesse
in: Braunschweiger Werkstücke, Bd.21, S.65-93
Braunschweig 1957

Tafeln 14 bis 20 in eigenen Fenstern und
Anmerkungen 1) bis 92) im separaten Fenster

Während die Beschäftigung mit der antiken Münze für den klassischen Archäologen und Kunsthistoriker so gut wie eine Selbstverständlichkeit ist, muß es etwas seltsam anmuten, daß die Münzkunst des Mittelalters und der Neuzeit seitens der Kunstgeschichtsforschung bislang kaum eine Beachtung gefunden hat. Das gilt in ganz besonderem Maße für die uns hier interessierende Brakteatenzeit des 12. Jahrhunderts, denn daß wir es hier mit wirklicher Kunst zu tun haben, hat die voraufgegangene Fundbeschreibung und haben die Abbildungen wohl zur Genüge gezeigt. Weder in Georg Dehios Standardwerk aber, noch bei Jantzen oder Baum 1) ist von Münzen oder Brakteaten die Rede, auch nicht in der großen Geschichte des Kunstgewerbes von Th. Bossert 2). Der einschlägige Artikel von Max Bernhart in Otto Schmitts Reallexikon der deutschen Kunstgeschichte 3) geht leider auf das eigentliche Problem nicht ein. Nur Georg Swarzenski hat in seinem großen Aufsatz über den Kunstkreis Heinrichs des Löwen dessen Brakteaten mehrfach gestreift 4) und von ihm angeregt auch Wilhelm Pinder in seiner Kunstgeschichte der deutschen Kaiserzeit 5). Die beiden Veröffentlichungen von Ortwin Meier und Arthur Suhle geben wohl ein reiches Anschauungsmaterial, wenden sich aber fast nur an den Kreis der Numismatiker. Sie betonen wohl die Kunstform der Brakteaten, verzichten aber auf nähere kunstgeschichtliche Zusammenhänge 6). Neuerdings hätte dann freilich das weit verbreitete schöne Buch von Kurt Lange 7) mit seinen vorzüglichen Abbildungen und Vergrößerungen und auch einem guten wenn auch knappen Text und ganz kürzlich das böhmische Gegenstück dazu von Emanuela Nohejlová-Prátová 8) Veranlassung geben können, daß auch einmal die Kunstgeschichte sich mit den hier vorliegenden Problemen beschäftigt hätte.

Indessen wäre es töricht, in der Feststellung dieser Nichtbeachtung der Münzkunst seitens der Kunstgeschichte so etwas wie einen Vorwurf sehen zu wollen. Wir müssen vielmehr nach einer Erklärung suchen. Nun, einmal begibt sich der Außenstehende nur ungern in das dornenvolle Gebiet der Numismatik, und zum anderen sehen wir uns der merkwürdigen Erscheinung gegenüber, daß die Geschichte der Münzkunst - zunächst ganz allgemein und ohne zeitliche Begrenzung gesprochen - der geschichtlichen Entwicklung der übrigen Kunstzweige durchaus nicht immer parallel läuft. In manchen Ländern und für lange Epochen stehen anscheinend völlig kunstlose Münzgepräge den höchsten Leistungen auf anderen Gebieten der Kunst gegenüber. Wenn wir genötigt wären, allein aus den erhaltenen Münzen die Kunst einer bestimmten Epoche zu beurteilen, kämen wir fraglos zu sehr merkwürdigen Vorstellungen. Das gilt z. B. in besonderem Maße von den deutschen, mehr aber noch von den italienischen und französischen Münzen des 10. bis 12. Jahrhunderts.

Diese Beobachtung muß aber notwendig zu der weiteren Schlußfolgerung führen, daß dieses auffallende Auseinandergehen von Kunst und Münzkunst in den besonderen Eigenschaften der Münze selbst begründet liegt.

Georg Dehio hat in der Einleitung zu seiner Geschichte der deutschen Kunst ausgeführt, daß Kunst niemals nur Kunst und reiner Geist sei, sondern immer auch einen Körper habe, und daß Technik und Zweckinhalt, also außerkünstlerische Interessen, fortwährend Gewalt über sie gewinnen. Historische Zufälle, Gesellschaft, Wirtschaft und Staat wirken bald fördernd, bald hemmend auf sie ein.

Das alles aber gilt von der Münzkunst in ganz besonderem Maße, und zwar nach der negativen Seite der Hemmung und Beschränkung hin durch außerkünstlerische Faktoren. Die durch die rechtlichen und wirtschaftlichen Eigenschaften der Münze gegebenen Bindungen können dabei so stark sein, daß eben zu gewissen Zeiten den höchsten Schöpfungen der Kunst auf dem Gebiete der Malerei, Plastik oder Baukunst völlig kunstarme Münzgepräge gegenüberstehen, auch wenn wir berücksichtigen, daß selten in der gleichen Epoche alle Kunstzweige gleichmäßig hoch entwickelt zu sein pflegen. Niemals aber ist der Abstand so groß, wie auf dem Gebiete der Münzkunst, und gerade aus dieser Tatsache wird uns die Sonderstellung der Münze in der Kunstgeschichte und ihre Vernachlässigung besonders deutlich und erklärlich.

Wir dürfen aber nicht übersehen, daß es auch außerhalb der Antike- und der Renaissance-Münze immer auch Länder und Zeiten gegeben hat, deren Münzen durchaus Anspruch auf eine künstlerische Würdigung verdienen, und wenn für anscheinend kunstlose Münzzeiten die Frage gestellt werden sollte, ob wir es hier überhaupt noch mit "Kunst" zu tun hätten, so dürfen wir m. E. auch hier und auch außer halb der anerkannten Blütezeiten von einer "Münzkunst" sprechen mit dem gleichen Recht, wie etwa von einer "Kunst der Primitiven" oder "Volkskunst" gesprochen wird, und das Problem gewinnt dadurch an Interesse und Bedeutung, wenn es sich dabei um die Gepräge von Kulturvölkern und um kulturell und künstlerisch so bewegte Zeiten handelt, wie sie in Deutschland das 11. und 12. Jahrhundert, also die deutsche Kaiserzeit, darstellen. Die Brakteatenzeit und ihre kurze Blüte steht da in erster Linie vor uns. Zum besseren Verständnis mag zunächst ein kurzer Überblick über die Münzprägung in Deutschland bis zum Anbruch eben dieser Brakteatenzeit gegeben werden.

Die Münzgepräge der germanischen sogenannten Völkerwanderungsreiche der Ost- und Westgoten, der Sueven, Vandalen, Burgunder, Langobarden und der Franken in Gallien bis zum Rhein standen noch völlig unter dem Einfluß der spätrömischen Münzen. Sie tragen zumeist noch das Bild und den Namen des oströmischen Kaisers und auf den Rückseiten die spätrömischen allegorischen Gestalten, wenn auch mit zunehmender Entstellung oder "Barbarisierung" 9). Erst die spätfränkischen Silbermünzen (Denare) spätmerowingischer Zeit und ihre angelsächsischen und friesischen Zeitgenossen lösen sich allmählich davon ab und zeigen gewisse eigene und wohl germanische Stilmerkmale, ohne daß man aber hier von einer Münzkunst im engeren Sinne sprechen darf. Auffallend ist besonders das künstlerische Auseinanderfallen von Münzprägung und sonstigen Kunsterzeugnissen bei den Langobarden in Italien.

Auch die Karolinger greifen noch bei ihren verhältnismäßig wenigen Bildnismünzen auf spätrömische Kaiserbilder zurück, wenn auch im Sinne der "karolingischen Renaissance" in wesentlich verbesserter Formgebung. Sie zeigen auch einen antikisierenden Tempel. Die meisten der karolingischen Münzgepräge jedoch sind einfache Schriftmünzen, deren schlichtes, klares und kraftvolles Schriftbild in der Umschrift, deren Monogramme und einfache Symbole, wie vor allem das Kreuz, uns auch heute noch ansprechen.

In sächsisch-salischer Kaiserzeit vollzieht sich in Deutschland langsam ein Wandel. Noch wirken die schlichten karolingischen Vorbilder lange nach, aber die Gepräge werden bald und vor allem im Laufe des 11. Jahrhunderts bereichert durch figürliche Darstellungen, unter denen das Bild des Münzherrn, in erster Linie das des Königs oder Kaisers, voransteht und denen die Bilder der geistlichen Fürsten folgen. Diese Bildnisse aber haben sich vom spätantiken Vorbild weitgehend gelöst. In ihrer Kleinheit, Unscheinbarkeit, ja Roheit haben sie sich lange einer kunstgeschichtlichen Würdigung entzogen. Es bedurfte schon über das rein Numismatische hinaus einer liebevollen Vertiefung in diese spröde Materie und des Studiums guter Originale, um hier überhaupt einen künstlerischen Willen zu erkennen und die Beziehungen zur übrigen Kunstübung dieser Epoche aufzudecken. Moderne photographische Vergrößerungen, die diese Münzen durchaus vertragen, haben unseren Blick geschärft, und Kurt Langes Verdienst 7) darum sei hier dankbar anerkannt, wenn auch andere Münzforscher mit ähnlichen Versuchen bereits vorangegangen waren 10).

Wenn ich hier zunächst nun den Grundcharakter der Kunst ottonischer und frühsalischer Zeit umreißen will, folge ich im wesentlichen den Ergebnissen von Georg Dehio und Hans Jantzen 1), denen ich also gerne das kunstgeschichtliche Rüstzeug entlehne. Kennzeichnend ist zunächst eine Abwendung von der Spätantike trotz des lateinischen Gewandes, in dem naturgemäß alle christliche Kunst erscheint, und trotz des anhaltenden Zustroms aus Byzanz. Entlehnt aber wird in der Hauptsache nur das Stoffliche, denn dieser Stoff wird dargestellt in einem abendländisch-germanischen Geiste.

Die Architektur scheidet für unsere Zwecke aus. In der Malerei steht im Denkmälerbestand die Buchmalerei an erster Stelle. Als ihre Wesensmerkmale hat man herausgestellt vor allem die Darstellung des gottnahen und allgemein Gültigen und der Ewigkeit sowie ein Gestalten rein aus dem Geist, nicht der Sinnenwelt der Natur. Wir finden keine räumliche Illusion, keine Darstellung der Umwelt, Natur oder Landschaft, keine erzählende Bibelillustration mehr. Gegeben wird kein Abbild, sondern ein Sinnbild. Nur zeitloses Geschehen wird in Gestalten zur Anschauung gebracht, die aus Raum und Zeit herausgehoben sind und die nur durch die Gebärde etwas aussagen wollen. Es ist also eine stark abstrahierende Kunst, die aber fähig ist, unsinnliche Vorgänge und Visionen bildhaft zu gestalten. Dabei verflüchtigt sich die Malerei nicht ins Ornamentale, sondern schafft spiritualistische Gestalten und Typen, z. B. weißhaarige Greise mit starren Blicken und weit geöffneten Augen. Ich verweise hier nur auf die bekannten Handschriften und Miniaturen des Codex Egberti, den Hitda-Codex aus Kloster Meschede (Kölner Schule, siehe Taf.19), das sogenannte Evangeliar Ottos III. und das Perikopenbuch Heinrichs II. 11). Auch die an sich weltlichen Darstellungen der Kaiser, Könige und Bischöfe auf den Stifterbildern wurzeln im Überweltlichen. Alle diese Kaiserbilder tragen keine bildnishaften Züge, sondern sind Personifikationen ottonischer Kaisermacht. Immerhin sehen wir, wie Heinrich II., Konrad II., Heinrich III. und Heinrich IV. allgemein als bärtig dargestellt werden, vielleicht im Zusammenhang bereits mit einem in salischer Zeit unverkennbaren säkularen Zug, von dem noch zu sprechen sein wird. Weiter tritt als stilistisch-technisches Merkmal das Fehlen einer festen Umrißzeichnung hervor. Es ist eine lockere Zusammenfügung von Einzelformen und Farben, die sich zu einer eindrucksvollen Gesamtwirkung zusammenfügen, eine Stilbildung, die durch die besondere Art der Abstraktion gewillt und fähig ist, den Bildgehalt ins Universale zu erheben. Man hat darin einen germanischen Stilwillen erkannt [?!].

Die Plastik ist für unsere Fragestellung wenig ergiebig. Die monumentale Plastik scheidet ganz aus. Von den drei berühmten und so grundverschiedenen plastischen Kirchentüren in Hildesheim, Augsburg und Maria im Kapitol in Köln geht uns hier nur die Augsburger an 12), deren Datierung auffallend schwankt zwischen dem Anfang des 11. Jahrhunderts und 1060. Ich neige rein gefühlsmäßig einer nicht zu frühen Zeitstellung zu. Sie steht nach Form und Inhalt freilich dem spätantiken und byzantinischen Einfluß am nächsten mit einzelnen Figuren und Szenen, christlichen und antik-heidnischen Allegorien sowie genreartigen Darstellungen (Krieger, Simson im Löwenkampf, Kentauren, Bogenschütze, Hühner fütternde Frau, König David, Vier Jahreszeiten u. a.). Von hier aber geht eine verbindende Linie zu den Elfenbeinschnitzereien, den Diptychontafeln und Bucheinbänden, deren Bilderkreis sehr viel umfangreicher ist, als der der liturgisch gebundenen Buchmalereien. In ihnen leben aber auch zugleich spätantike und karolingische Vorbilder stärker nach, und sie sind nach der gleichen Richtung hin immer erneut von Byzanz her befruchtet worden.

Vergleichen wir nun auf Grund dieser kurzen Charakteristik der Kunst jener Zeit die zeitgenössischen Münzbilder damit, da fällt zunächst auf, daß ein sehr großer Teil der deutschen Pfennige bei Geprägen einfachster und bildloser Art nach karolingischer Tradition verharrt. Reine Schriftmünzen, wie die S. COLONIA-Pfennige, Pfennige mit dem zur "Holzkirche" vereinfachten karolingischen Tempel oder solche mit dem vergröberten Tempel selbst wie in Augsburg, Regensburg, Böhmen, oder endlich die reinen Kreuzgepräge, wie die große Gruppe der "Sachsenpfennige" oder der Otto-Adelheid-Pfennige, sind kennzeichnend für diese ganz kunstlose Art der Prägung. Es gibt dafür keine andere Erklärung, als in der Münze einen reinen Zweckgegenstand, eben Geld zu sehen, das nicht einbezogen wurde in den Kreis künstlerischen Gestaltens, und zwar auf Grund von wirtschaftlichen Erwägungen oder sogar unbewußt aus der Tradition heraus. Die lange Dauer solcher Gepräge bis tief ins 11. Jahrhundert, und, wie beim Agrippinertyp, sogar bis ins 12. Jahrhundert hinein, weist in die gleiche Richtung. In Deutschland sehen wir doch nun neben diesen ganz kunstlosen Geprägen seit dem 10. Jahrhundert wieder Bilder erscheinen, Bildnisse der Münzherren, Stadt- und Kirchengebäude, Heilige, Symbole wie Hand, Lamm, Fahne, Dreispitz usw. Auch diese Münzbilder vermögen zum großen Teil eine kunstgeschichtliche Würdigung beim besten Willen noch nicht zu rechtfertigen wegen der Dürftigkeit der Zeichnung und Ausführung.

Indessen ist die Münzkunst sächsisch-salischer Zeit nicht dabei stehengeblieben, sondern hat - eine Fesstellung, die hier mit aller Deutlichkeit gemacht werden muß in zahlreichen Münzstätten Schöpfungen hervorgebracht, in denen wir unbedingt einen bestimmten Kunstwillen erkennen und die einen Vergleich mit anderen zeitgenössischen Kunstwerken gestatten. Ich hebe die wesentlichen Merkmale heraus.

1. Von einem Einfluß der römischen Münze ist so gut wie nichts mehr zu spüren. Gewiß gibt es hier und da noch Anklänge, eine Zackenkrone, eine Anlehnung an byzantinische Kaiserbilder, und zwar bis nach Dänemark hinauf. Das aber sind verschwindende Ausnahmen, die das Gesamtbild nicht ändern. Die Bildnisse der deutschen Kaiser und Könige sind keine römischen Imperatoren mehr, von denen der weltlichen Fürsten und der geistlichen Herren ganz abgesehen. Es sind selbständige Neuschöpfungen dieser Epoche.

2. Der Bildinhalt der Gepräge ist vorwiegend weltlich orientiert. Die heiligen Personen der ottonischen Kunst werden kaum dargestellt. Ganz singulär erscheint ein Christusbild in Prüm, öfter die Maria, die Apostel Simon und Judas und einige Heilige, wie Martin, Stephan, Ulrich, Moritz, Vitus. Ihre Köpfe unterscheiden sich aber kaum von denen der Münzherren, und nur ein Nimbus oder die Umschrift gibt uns Auskunft. Einfache christliche Symbole wie Kreuz, Kirchengebäude, Hand Gottes, Schlüssel, die Kirchenfahne, das Lamm, Adler, Taube, Hirsch kommen häufig auf den Rückseiten vor, ändern aber nichts an der Tatsache, daß politische, rechtliche und wirtschaftliche Momente entscheidend waren für die Wahl der Münzbilder. Friedensburgs Symbolik-Theorie 13) war da, zumal in ihrer Zuspitzung, fraglos auf falschen Wegen. Dabei wissen wir, daß die Gepräge nicht einfach von Münzmeistern und Stempelschneidern ersonnen waren, sondern daß die Münzherren und zumal die geistlichen Fürsten einen entscheidenden Einfluß darauf hatten.

3. Die Unansehnlichkeit der Pfennige dieser Zeit wird neben der bescheidenen Größe, die aber nicht geringer war als die der römischen Denare, vor allem dadurch gesteigert, daß wir eine unserem Auge wohlgefällige Anordnung, ein dekoratives Gefühl und die Verwendung von Schmuckformen, durchweg vermissen. Wenn solche Motive besonders nach der Mitte des 11. Jahrhunderts, wie etwa in Duisburg, auftreten, Kreuz- und Kreisgliederung, Vierpaß, Rosetten, Sternmuster, Doppelfadenkreuz u. ä., so gehen sie auf fremde Einflüsse, in diesem Falle auf angelsächsische Vorbilder zurück. Byzantinischen Einfluß gewahren wir wohl in den streng frontalen Kaiserbildern oder symmetrischen Stadtbildern. Durchweg aber sehen wir eine Vorliebe für das Unregelmäßige, auch in der Schriftanordnung, die z. B. in Regensburg fast an die griechische erinnert.

4. In Stil und Darstellungsweise, also im eigentlich Künstlerischen, stehen die in Frage kommenden Münzbilder ganz in ihrer Zeit. Immer erhebt sich das Bildnis ins Allgemeine, Typische, Zeitlose, ist es Sinnbild und nicht Abbild. Dargestellt werden nicht Personen, sondern der Kaiser, der Bischof, der Graf schlechthin. Es sind die gleichen durchgeistigten Köpfe wie auf den Miniaturen und wie dort durch ihre Gebärden und Attribute, Krone, Szepter, Krummstab, Buch usw. gekennzeichnet. Ebenso unwirklich und sinnbildlich sind die dargestellten Gebäude, Kirchen, Türme und Mauern.

5. Mit der Darstellungsweise eng verknüpft sind die Darstellungsmittel der Gepräge. Sie liegen nicht wie bei der antiken Münze in der Ebene der Plastik und der naturhaften Wiedergabe körperlicher Erscheinung, sondern stehen der Malerei näher. Man hat von einer "malerischen Plastik" gesprochen, und wirklich stehen viele Köpfe von Münzbildnissen denen der Buchmalerei greifbar nahe. Auch ihnen fehlt der feste Umriß und die plastische Wirkung. Aus Strichen, Punkten, Buckeln und Kurven setzt sich das Bild zusammen. Es sind ganz locker hingesetzte einzelne Formteile, die in der Zusammenschau nun doch ein Gesamtbild von starker Wirkung ergeben. Man glaubt ein Ringen um die Form zu spüren, um der Ausdrucksfülle Herr zu werden. Beherrschend erscheint ähnlich wie in der Buchmalerei das große Kugelauge. Auch der untere Lidbogen, die keilförmige Nase und der Bart sind stark betont, andere Teile wie Wange und Hals oft nur angedeutet (siehe Taf.14. Weil aber die Materie bei den bescheidenen Darstellungsmitteln so sehr zurücktritt, verspürt man doppelt stark das Geistige. Diese winzigen Bildnisse atmen oft eine große Würde und Hoheit, und doch berühren sie uns auch wieder rein menschlich durch ihren Ernst und eine gewisse Tragik. Daher kommt es auch wohl, daß wir immer wieder versucht sind, in den Münzbildnissen individuelle, porträthafte Züge zu vermuten13a). Alle diese Dinge werden uns durch starke Vergrößerung fraglos nähergebracht, während der vorwiegend dekorative Charakter der Brakteaten eine solche Vergrößerung nicht immer verträgt. Sie verlieren dadurch an Wirkung. Man muß sich immer vergegenwärtigen, daß der damalige Stempelschneider sein Münzbild unmittelbar und in der gewollten Größe bzw. Kleinheit in das Eisen geschnitten hat.

Die aufgezeigte Entwicklung von der karolingischen Schriftmünze zu bildhaften Darstellungen reißt mit Heinrich IV. ab. Der Stil wird linearer, zeichnerischer, aber zugleich auch starrer und unlebendiger. In der Periode der sogenannten Dünnpfennige spätsalischer und frühstaufischer Zeit kommt es auch technisch zu einem Tiefstand der Münzkunst.

In diese Zeit und Gruppe gehören auch die scheinbar ganz aus dem Rahmen herausfallenden süddeutschen Dünnpfennige, vor allem aus Regensburg, mit den bekannten und ikonographisch so außerordentlich interessanten Darstellungen, in denen sich antik-byzantinische Elemente mit volkstümlichen Vorstellungen so überaus merkwürdig vermischen 14). Mir scheint, rein ikonographisch gesehen, ein Weg von den Augsburger Domtüren zu diesen Münzbildern zu führen. Künstlerisch gesehen, gehen die Regensburger Breitpfennige mit ihrer starken Bewegtheit ganz andere Wege als die Münzen der deutschen Kaiser und Bischöfe des 11. Jahrhunderts, vermögen uns aber sehr viel weniger zu packen, vielleicht auch wegen der Fremdheit der Darstellungen und des völligen Verzichts auf das Bildnis und Hoheitszeichen.

Ihnen parallel laufen die inhaltlich verwandten böhmischen Pfennige. Hier auf diesen sehr viel kleineren Pfennigen erhebt sich die lineare Zeichnung der Münzglyptik zu einer Feinheit und Zierlichkeit, die überrascht, aber malerisch ist dieser Stil nicht mehr. Sie sind in Stil und Inhalt ungleich wirklichkeitsnäher, wenn man will, naturalistischer. Man verspürt darin eine auch sonst in der Kunst dieser Zeit zu beobachtende fortschreitende Säkularisierung trotz des kirchlich-religiösen Darstellungsinhaltes, neben dem aber auch weltliche Bilder und Szenen betont rechtlichen Charakters einen breiten Raum einnehmen. Dargestellt aber wird jetzt das Besondere und Einzelne, nicht mehr das allgemein Gültige und der geistige Gehalt. Im einzelnen verdienten die böhmischen Pfennige der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts wohl eine eingehende Untersuchung, auch in ihren Beziehungen zu den Regensburger Breitpfennigen und der böhmischen Kunst.

Wir stehen an der Schwelle der Brakteatenzeit, in der die Münzkunst in Deutschland einen ihrer ersten überraschenden Höhepunkte erreicht hat. Die Brakteaten sind sowohl künstlerisch wie landschaftlich auf einem ganz anderen Boden erwachsen und haben weder mit den Regensburger Pfennigen noch mit den böhmischen etwas gemein. Von Mitteldeutschland und Ostfalen ausgehend 15), von Meißen, Thüringen, Hessen und dem südlichen Niedersachsen, haben die Brakteaten nur einen Teil Deutschlands erobert, die eben genannten Gebiete bis zur Wetterau im Südwesten, der Weser im Westen und mit Ausläufern bis zur Nord- und Ostsee im Norden. Im Süden ist nur das schwäbisch-alemannische Gebiet davon ergriffen worden. Alle anderen Landschaften blieben beim zweiseitig geprägten Pfennig, der zwar in dieser Zeit ebenfalls Wandlungen erfahren hat und von der Forschung nach der kunstgeschichtlichen Seite hin vielleicht gegenüber der reizvollen Erscheinung der gleichzeitigen Brakteaten über Gebühr vernachlässigt worden ist.

Das letzte Rätsel des Auftretens der Brakteaten wird uns wohl immer verschlossen bleiben. Münz- und geldpolitische Momente wie die bekannte Münzverrufung und -erneuerung haben offenbar, wenn m. E. auch nicht entscheidend, mitgewirkt. Ein technischer oder gar stilistischer Zusammenhang mit den vorwiegend auf nordischem Boden beheimateten germanischen Schmuckbrakteaten hat sich nicht erweisen lassen. Auch Klaus Günther hält seine während des letzten Krieges veröffentlichten Untersuchungen nach dieser Richtung hin heute nicht mehr aufrecht, wie er mir im Anschluß an meine Arbeit über die Brakteaten Heinrichs des Löwen und die dortige kritische Auseinandersetzung mitteilte 16).

Freilich auch die Brakteaten sind nicht Abbilder, sondern Sinnbilder, und deshalb auch so durchaus deutsch. Auch hier wird die Menschengestalt zum Typus der weltlichen oder geistlichen Mächte, und neben das Bildnis treten die Anfänge der Heraldik, die ja immer sinnbildlich ist, treten auch Handlung und Bewegung und Erzählung, was den Münzen des 10. und 11. Jahrhunderts so gänzlich fernlag. Damit knüpfen sie gewiß an die süddeutschen Dünnpfennige an, auch in der nunmehr vollendeten Abkehr von allem Antikischen. In Haltung und Bildinhalt sind sie durchaus weltlich und diesseitig, auch wenn Heilige und Märtyrerszenen in volkstümlicher Weise zur Darstellung kommen. Entscheidend aber ist der ganz andere und neue Stilwille, das Figürliche vom Ornamentalen her zu bewältigen. Gerade das macht ja doch den Reiz dieser kleinen Kunstwerke aus, die fein abgewogene Füllung des Münzrunds mit ihren oft das Figürliche überwuchernden Ziermotiven, Bögen, Architekturen usw. Es ist bezeichnend, daß nur auf den frühesten Brakteaten, etwa in Hersfeld oder Brandenburg, noch Köpfe auftreten, die denen des 11. Jahrhunderts nahestehen, auch in den Darstellungsmitteln. Hier sehen wir auch noch Profilbilder, wie sie das 11. Jahrhundert bevorzugte, zumal in seinen besten Leistungen. Während der Blütezeit aber der Brakteaten in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts werden die Bilder der Münzherren oder Ortspatrone so gut wie ausschließlich in der Vorderansicht gegeben, und an die Stelle des Kopfes tritt die ganze Figur, sitzend, thronend, stehend, reitend. Eine solche Darstellung aber ermöglichte im Zusammenhang mit den begleitenden Ziermotiven die streng symmetrische Anordnung des Münzbildes, wie sie besonders deutlich in der Darstellung des thronenden Herrscherpaares, des Bischofs und der Heiligen u. a. in Erscheinung tritt und worin wir ohne Frage byzantinische Einflüsse sehen müssen. Dieses würdevoll Byzantinische aber wird auf den Brakteaten aus der Starre gelöst durch das Ornamentale und die bildhafte Wiedergabe eines dem Volke zutiefst vertrauten Gedankengutes.

Das Kerngebiet der Brakteatenprägung liegt in Ostfalen und im südlichen Niedersachsen, zwischen Hannover, Hildesheim, Braunschweig und Magdeburg sowie im Harzgebiet und anschließend daran in der Saalegegend, in Thüringen und Meißen. Von Thüringen aus reicht das Gebiet über Hessen bis an den Main und die Wetterau mit Frankfurt a. M. Im Osten gehen von Magdeburg Ausstrahlungen nach Brandenburg, im Norden bis an die Küsten von Ost- und Nordsee bis Mecklenburg, Lübeck, Hamburg und Bremen. Die Westgrenze ist die Weser 17). Die wichtigsten für die Brakteatenprägung in Frage kommenden Münzherren sind die Markgrafen von Meißen, die Landgrafen von Thüringen und Hessen, dazu zahlreiche kleinere oder größere Dynasten dieses Gebietes. Ferner sind zu nennen die welfischen Herzöge von Sachsen in Braunschweig, Lüneburg und Hannover mit ihren Lehnsgrafen, die askanischen Fürsten und Markgrafen von Anhalt und Brandenburg, ferner um den Harz herum in besonders großer Zahl kleine Grafen und Herren, unter denen die von Arnstein und Falkenstein im Ostharz mit besonders schönen Brakteaten hervorzuheben sind. Von den hohenstaufischen königlichen Münzstätten liegen im Brakteatengebiet Altenburg i. Thür., Saalfeld, Mühlhausen i. Thür., Nordhausen, Goslar und Frankfurt a. M. Prachtvolle Brakteatenreihen verdanken wir auch den geistlichen Fürsten, den Erzbischöfen und Bischöfen von Magdeburg, Merseburg, Naumburg, Halberstadt, Hildesheim, Bremen sowie den erzbischöflich mainzischen Münzstätten Erfurt und Aschaffenburg. Dazu gesellen sich die großen Abteien von Quedlinburg, Helmstedt, Gandersheim, Nordhausen, Fulda, Hersfeld, Eschwege, Pegau u. a.

Räumlich getrennt von diesem großen geschlossenen Brakteatengebiet hat sich ein kleineres in Südwestdeutschland zwischen Donau, Lech und Oberrhein einschließlich des Bodenseegebietes und mit den Mittelpunkten Augsburg, Donauwörth, Ulm, Konstanz und Basel gebildet. Die Brakteaten dieses Gebietes können sich zwar an künstlerischer Bedeutung nicht mit den nord- und mitteldeutschen messen, bieten aber immerhin Reizvolles genug.

Wir sehen aus dieser knappen Aufzählung, daß es besonders die geistlichen und weltlichen Fürsten waren, die diese Brakteatenkunst gepflegt haben, und es stimmt durchaus dazu, wenn Wilhelm Pinder in "Die Kunst der deutschen Kaiserzeit" , S. 193 bemerkt, daß die Landesfürsten in der Kunst der staufischen Zeit überhaupt vorangehen, und unter ihnen wieder der "ungekrönte König des Nordens", Heinrich der Löwe, der mehr für die deutsche Kunst bedeute, als der Hohenstaufe Friedrich I. Rotbart selbst. Auch die Brakteaten dieses Fürsten gehören ohne Frage zu den für diese Zeit besonders charakteristischen Geprägen und zu den auch künstlerisch schönsten unter ihren Artgenossen. Das zeigt ohne weiteres ein Blick auf die Abbildungen zu unserer obigen Fundbeschreibung. Ihr Zusammenhang mit dem übrigen und allgemeinen deutschen Kunstschaffen des 12. Jahrhunderts und im besonderen mit der Kunstpflege am Hofe Heinrichs des Löwen wird nun aufzuzeigen sein.

In der Blütezeit der Brakteatenkunst zwischen 1160 und 1200 befinden wir uns stilgeschichtlich inmitten der deutsch-romanischen Epoche, und zwar nach Pinder 5) in der frühstaufischen Zeit. Noch steht an allgemeiner Bedeutung die Baukunst unbedingt an erster Stelle, zumal in den für uns in Frage kommenden sächsisch-thüringischen Gebieten einschließlich der askanischen und wettinischen Länder. Dagegen ist die Anzahl der erhaltenen Werke der großen Plastik gering, und diese verharren zudem noch durchaus in jener Strenge und Herbheit, die sich erst im 13. Jahrhundert löst und zu den Skulpturen von Bamberg, Freiberg, Magdeburg und endlich Naumburg führt. Indessen hat die plastische Zierkunst in engster Verbindung mit der Architektur bereits Besitz ergriffen von den Bogenfeldern der Kirchentüren, von Chorschranken und Kapitälen und überhaupt überall da, wo dekorative Aufgaben zu erfüllen waren. Hier befinden wir uns gegen Ausgang des 12. und zu Beginn des 13. Jahrhunderts auch bereits "im Vorhof der großen Form" (Pinder S. 230), wie etwa im Stucktympanon von St. Godehard in Hildesheim, das noch in Bischof Adelhogs Zeit (bis 1190) gehört, in den Chorschranken von Halberstadt und der Zierplastik von St. Michael in Hildesheim. Dazu kommen die Erzeugnisse des Kunstgewerbes, vor allem die Goldschmiedearbeiten in Treibarbeit, Gravierung, Niello und Email, dann auch Werke des Bronzegusses sowie die Textilien. Auch sie gehören in ihren vollendeten Schöpfungen romanischen Stils durchweg erst dem 13. Jahrhundert an und nehmen dazu ihren Ausgang vom Westen, von Maas und Rhein, während in Niedersachsen im 12. Jahrhundert noch die Traditionen der älteren Kunstübung von Hildesheim und Helmarshausen nachwirken und die hier entstandenen Werke noch nicht jene Freiheit und Ausdrucksfähigkeit erreichen. Der Denkmälerbestand an Werken der monumentalen Wandmalereien ist gering, und bedeutende Werke, wie die Decke der Hildesheimer Michaeliskirche oder die Braunschweiger Dommalereien gehören zudem erst dem Ausgang unserer Epoche und dem 13. Jahrhundert an. Sehr viel reichhaltiger und auch für unsere Frage wichtiger sind die Buchmalereien, wie sie von Hildesheim, Helmarshausen und anderen Orten unseres Gebietes ausgegangen sind.

Den Gesamtcharakter der Kunst der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts kann man mit Dehio umreißen als ein Ringen des Unsinnlich-Gedanklichen mit der Form, die sich erst im 13. Jahrhundert mit Hilfe französischer und spätantik-byzantlnischer Vorbilder klärt. Eine starke Ausdrucksfähigkeit für Stimmungsgehalte auf der einen, eine Lust am Erzählen und Illustrieren, ein Sinn für Wirklichkeitsnähe und Bejahung der Welt der Erscheinungen auf der anderen Seite machen sich geltend, führen aber über eine starke Gebundenheit noch nicht hinaus.

Überblicken wir jetzt nach dieser kurzen zusammenfassenden Charakteristik die für unser Problem in Betracht kommenden Werke auf den verschiedenen Gebieten des Kunstschaffens, um hier Anhaltspunkte für eine Eingliederung der Brakteatenkunst zu gewinnen.

Es liegt nahe, zunächst die nach Form und Technik unmittelbar verwandten Siegel heranzuziehen, und die Münzforschung hat sich ihrer aus sachlichen und ikonographischen Gründen immer gerne bedient, vor allem, wenn es galt, schriftlose Münzbilder durch den Vergleich mit den ja immer beschrifteten Siegeln auf ihre Herkunft und ihr Alter zu untersuchen. Schon dabei stellte sich in sehr vielen Fällen heraus, daß die herangezogenen Siegel jünger waren als die inhaltlich entsprechenden Münzen 18). Für die künstlerische Formgebung und einen Vergleich mit den Brakteaten kommen natürlich nur Siegel von runder Form in Betracht, und da müssen wir feststellen, daß die Siegel dieser Zeit die dekorative Feinheit der Brakteatenbilder völlig vermissen lassen. Die Siegel sind schon wegen ihres größeren Durchmessers und des höheren Reliefs sehr viel stärker plastisch empfunden, kraftvoller und, wenn man will, monumentaler. Die Neigung zum Detail, die Freude an Zutaten, Umrahmungen, Nebenpersonen und Zierarchitekturen geht ihnen völlig ab. Erst in gotischer Zeit stellen sich auch auf den Siegeln die reich ausgestatteten Thronsessel, Baldachine und andere architektonische Zierformen ein. Am besten lassen sich die zahlreichen deutschen Reiterbrakteaten mit der Darstellung des reitenden Fürsten auf Siegeln vergleichen, ganz besonders im thüringischen Raume, und da sehen wir, wie die Siegel der Landgrafen einen Vergleich mit ihren gleichzeitigen Brakteaten nicht auszuhalten vermögen 19). Von Heinrich dem Löwen gibt es keine Reiterbrakteaten, aber auch sein großes Reitersiegel 20) vermag sich künstlerisch nicht mit den Brakteaten zu messen. Auch so schöne Darstellungen des Wappentieres wie in Braunschweig, Arnstein (Adler) oder Falkenstein im Selketal (Falke) finden wir auf gleichzeitigen Siegeln nicht wieder 21). Die Städtesiegel aber mit ihren reichen romanischen Architekturen, wie etwa die von Gelnhausen, Nordhausen und nicht zuletzt von Braunschweig, von denen allen uns auch inhaltlich gleiche Münzbilder auf Brakteaten vorliegen, gehören sämtlich erst der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts an, während sich die gleichen Motive und Zierformen auf den entsprechenden Brakteaten bereits gut 50 Jahre früher finden 22).

Von einem Vergleich von Werken der großen Plastik mit den Brakteaten kann natürlich keine Rede sein. Immerhin zeigt das Grabmal der Äbtissin Agnes von Quedlinburg († 1203) in seiner schlichten und großzügigen Auffassung besonders auffällig den weiten Abstand von den zierlichen Brakteaten gerade dieser Äbtissin 23). Dasselbe gilt von dem Grabstein des Hildesheimer Bischofs Adelhog († 1190), dessen schöne Brakteaten wir ja in unserem Funde sahen, und von den Magdeburger Erzgrabplatten der Erzbischöfe Friedrich († 1152) und vor allem Wichmann († 1192), von dem einige wenige Brakteaten ja auch in unserem Funde vertreten waren 24). Ganz für sich steht der Bronzelöwe von 1166 auf dem Bugplatz in Braunschweig, die erste monumentale Freifigur des deutschen Mittelalters, das Wahrzeichen des Herzogs, der sich ja bereits zu Lebzeiten, wie wir aus seinen Münzen sahen, als "LEO" bezeichnete. Auch er hat nach Pinders Worten 25) gewiß stilistische Quellen in der Kleinkunst, aber der Sinn seiner Form ist wahre Monumentalität. Der Buglöwe ist "eine große für sich lebende Gestalt". Wie Kleinformen ihm voraufgegangen sind, so haben Kleinformen ihn auch "bespiegelt", und ich habe in der Fundbeschreibung zu Nr. 25a bereits das Nötige dazu gesagt. Pinder meint dann weiter, daß das Verhältnis zur Wirklichkeit beim Braunschweiger Meister noch das des Archaikers gewesen sei und der Künstler vielleicht nie einen Löwen gesehen habe. "Aber er wußte, was ein Löwe ist" 26). Das ist gewiß richtig gesehen, wenn es auch nach neueren Forschungen durchaus nicht unwahrscheinlich erscheint, daß Heinrich der Löwe von seiner Pilgerfahrt 1172 einen wirklichen Löwen mitgebracht hat 27).

Mit den Reliefs der Chorschranken betreten wir bereits das Gebiet der Bau- und Schmuckplastik. Für die Brakteatenkunst ergeben die Chorschranken von St. Michael in Hildesheim (um 1192-1200)28) die besten Vergleichsmomente vor allem in den Bekrönungen mit architektonischen Zierformen, auf die noch im Zusammenhang zurückgekommen wird. Heranzuziehen sind ferner die Türbogenfelder, wo die beliebte Anordnung einer Mittel- zwischen zwei Seitenfiguren auch auf Brakteaten vorkommt, wenn auch seltener als die sehr häufige Darstellung von zwei stehenden oder sitzenden Figuren etwa des Königspaares in Nordhausen und Frankfurt oder häufiger noch die des geistlichen Fürsten neben dem Stiftsheiligen 29). Man hat auch bereits mehrfach darauf hingewiesen, wie hier zum guten Teil byzantinische Elfenbeinplastiken als Vorbild gedient haben, von denen man jetzt von neuem und anders als früher gelernt habe 30).

Sehr viel stärker spürbar noch sind die Beziehungen der Brakteatendarstellungen zu den auch technisch und im Material vielfach verwandten Goldschmiedearbeiten in Trieb- und Stanzarbeit, Gravierung und Niello. Aus dem hier überaus reichen Denkmälerbestand seien nur ein paar wenige Beispiele herausgegriffen. Einen unmittelbaren Vergleich mit Halberstädter Brakteaten gestattet z. B. das Quedlinburger Reliquienkästchen, dessen Fassung aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts vier getriebene Medaillons mit den Köpfen von Heiligen zeigt (siehe Taf.20) 31). Aus der großen Zahl der gestanzten Medaillons und Figuren mit sitzenden Aposteln oder Heiligen, der Maria oder des Christus, von Brustbildern oder stehenden Figuren, wie wir sie auf Bucheinbänden, an Kelchfüßen und Tragaltären so häufig finden, hat Swarzenski gerade aus dem Kunstkreis Heinrichs des Löwen bereits eine Reihe von guten Beispielen zusammengestellt 32). Sie sind durchweg freier und bewegter in der Haltung, als die ihnen auch technisch nächstverwandten Brakteatendarstellungen, erreichen aber andererseits nicht immer die den Brakteaten eigene Feinheit im Detail und die Geschlossenheit der Münzbilder. Künstlerisch noch höher stehen die getriebenen Silbermedaillons mit den Brustbildern der Apostel an einem um 1175 in Hildesheim entstandenen Armreliquiar des Braunsmweiger Domschatzes (Welfenschatz)33). Abgesehen von dem größeren Format sind sie ungleich persönlicher und freier in Haltung und Ausdruck als die gleichzeitigen Brakteaten, lassen aber immerhin Vergleiche zu. Hildesheimer Herkunft ist auch das Oswaldreliquiar um 1180 mit zwei Niellomedaillons mit thronenden Königen, die völlig den von den Brakteaten her gewohnten Darstellungen entsprechen 34). Endlich sind auch die sechs gravierten Medaillons von einem niedersächsischen Tragaltar des Domschatzes um 1200 heranzuziehen 35).

Unter den Malereien sind es vor allem die Miniaturen, die uns angehen, doch sei immerhin auch auf die Medaillons mit Brustbildern von der gemalten Decke der Michaeliskirche in Hildesheim um 1220 hingewiesen 36). Die Buchmalerei aber ist besonders wichtig gewesen für die Überlieferung und Verbreitung von Vorbildern für alle Künste, und zwar oft auf Grund sehr alter Traditionen. Für unsere Zwecke seien hier erwähnt das freilich erst um 1230-1240 entstandene Evangeliar im Rathaus zu Goslar 37), das besonders starke byzantinische Einflüsse aufweist, dann auch das Gebetbuch des Landgrafen Hermann v. Thüringen († 1217) und seiner Gemahlin Elisabeth in Cividale 38). Man hat in den Miniaturen auch eine eigene sächsisch-thüringische Schule erkennen wollen, und vielleicht ist sie nicht ohne Bedeutung gewesen für die Brakteatenkunst gerade dieser Gebiete, denn die Grundlagen der Brakteatendarstellungen liegen unverkennbar mehr auf dem zeichnerisch-malerischen als auf plastischem Gebiet. Schon Ferdinand Friedensburg hat auf diese Beziehungen der Brakteaten zu den Miniaturen hingewiesen 39), wenn auch unter den von ihm genannten Beispielen nur der "Hortus deliciarum" der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts angehört und die Manessische Liederhandschrift bekanntlich sehr viel jünger ist. Andererseits hat Goldschmidt 40) auf die Elfenbeinschnitzereien als Vorbilder für die Miniaturen, ganz besonders für die Zierarchitekturen, hingewiesen, und tatsächlich haben wir wohl in den Elfenbeinen die gemeinsame Quelle zu suchen. Ich komme auf diese Frage noch zurück.

Man hat auch auf die byzantinischen Münzen des Mittelalters als die möglichen Vorbilder für unsere Brakteaten hingewiesen. Das Gemeinsame besteht in der feierlichen und repräsentativen Haltung der Wiedergabe besonders von thronenden oder stehenden Figuren, die gerne gedoppelt erscheinen. Auch die meist streng frontale Stellung und die Betonung der Mittelachse sind gemeinsam 41). Es fehlt aber den byzantinischen Geprägen die Vielseitigkeit der Ausdrucksformen. Es fehlt die Lust am Erzählen, und es fehlen vor allem die Umrahmungen und dekorativen Zutaten des Münzbildes. Sie erwecken den Eindruck des Feierlichen, Erhabenen, aber auch der Erstarrung 42). Kurt Lange hat die gleiche Beobachtung gemacht 43). Auch er sieht lediglich in der Form das Gemeinsame und stellt mit Recht "die erhaben ergreifende, in ihrer drohenden Starre noch immer würdige Haltung" und die "feierliche Kühle" der byzantinischen Münzen der "frischen naiven Fülle" und dem "herzwärmenden Gefühl und einer oft tiefen Innigkeit" der deutschen Brakteaten gegenüber. Wenn Verworn 44) die Ähnlichkeit zwischen byzantinischen Münzen und den deutschen Brakteaten aus der gleichen Quelle, nämlich einer "Aufpfropfung von barbarisch-germanischen Elementen auf die geschwächte römische Kunst" erklären wollte, so trifft das gewiß nicht den Kern der Sache. Unbestritten sind die deutschen Brakteaten eine rein deutsche Erscheinung, aber daß zu ihrer Darstellungsart und zur Entstehung ihrer Münzbilder byzantinische Einflüsse und Vorbilder mitgewirkt haben, ist ebensowenig zu bestreiten, wie auf allen anderen Gebieten der deutschen Kunst dieser Zeit (siehe Taf.14).

Zur Stützung dieser Tatsache ist neuerdings von rein historischer und politischer Sicht aus darauf hingewiesen, wie sehr die Außenpolitik des deutschen Reiches gerade auch unter Konrad III. und Friedrich I. von dem Verhältnis zu Byzanz bestimmt worden ist und wie vor allem Heinrich der Löwe einen starken Anteil an dieser Byzanzpolitik gehabt hat 45). Im Jahre 1163/64 empfing der Herzog eine Sondergesandtschaft des Kaisers Manuel, und 1172 weilte Heinrich selbst in Byzanz, wie wir wissen, auch aus politischen Gründen. An diese Dinge mag hier nur erinnert werden, obwohl gerade die Brakteaten Heinrichs des Löwen den geringsten byzantinischen Einfluß verraten im Vergleich mit anderen deutschen Münzstätten 46).

Wenn aber von einem byzantinischen Einfluß gesprochen werden soll, so kam er weniger von den byzantinischen Münzen unmittelbar als vielmehr von der byzantinischen Kleinkunst ganz allgemein. Ganz besonders aber macht er sich bemerkbar auf den merkwürdigen und auffallenden Architekturgebilden, die den byzantinischen Münzen selbst ja ganz fehlen, die aber bei den deutschen Brakteaten eine so große Rolle spielen und so außerordentlich oft und schön den dekorativen Rahmen abgeben für die dargestellten Personen. Das sind diese schlanken Türme und Türmchen mit Zwiebelkuppeln, Pilz- und Schirmdächern, oft pagodenartig und phantastisch übereinandergeschichtet, dazu Mauern mit Toren und Zinnentürmen, Arkadenreihen usw. Einer der ersten Münzforscher, der den Brakteaten ein zusammenfassendes Buch gewidmet hat 47), charakterisiert diese Zierarchitekturen in französischer Sprache besonders treffend: "une architecture souvent éléegante, toujours plus ou moins fantaisiste, mais dont les élements principeaux sont des arcs multiples d'une incroyable variété, des boutes crénelées, des balustrades sculptées, des murailles ou des portes de villes ou de châteaux, innombrables tourelles des édifices religieux en miniature ... ". Das aber sind die Architekturen, wie sie aus dem zweiten Mödesser Funde in den Nrn. 1, 4-7, 26, 27, 30, 32-35, 37, 38, 40-45, 50, 53-61, 64, 65 und 73 ebenfalls vorkommen und wie wir sie auf den Brakteaten zahlreicher anderer deutscher Münzstätten z. T. noch viel reichhaltiger beobachten können (vgl. Anm. 17).

Die gleichen oder doch sehr ähnlichen Gebilde kehren nun aber wieder bei den Werken anderer Kunstzweige dieser Zeit, auf Miniaturen, in der kirchlichen Zierplastik und auch in der Wandmalerei sowie auf Goldschmiedearbeiten. Ansätze dazu finden wir bereits in den Miniaturen des Codex aureus von St. Emmeran aus der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts 48), auf der Hildesheimer Domtür zu Beginn des 11. Jahrhunderts 49) oder am Taufstein von Freckenhorst um 112950), dann auch auf den Hildesheimer Chorschranken 51). Im Verlaufe des 12. Jahrhunderts kehren solche Zierarchitekturen wieder in den Emailplatten vom Dach des Deutzer Heribertschreins um 117052), in einer Miniatur der Wolfenbütteler Handschrift 4305 53) sowie am Hildesheimer Epiphaniasschrein 54) und auf den Emailplatten im Hildesheimer Domschatz um 1160 55). In der Zierplastik begegnen wir ihnen im 13. Jahrhundert bei den Baldachinen über den Figuren des Bamberger Domes 56) und an der sogenannten Engelssäule im Straßburger Münster 57). Bei Wandmalereien sind sie verwendet worden, z. B. im Braunschweiger Dom, vor allem in den Szenen des Johanneslebens sowie der Kreuzlegende 58). Bei den Miniaturen erscheinen sie im Goslarer Evangeliar aus der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts 59) oder im Liber matutinalis des Konrad von Scheiern 60). Noch im 14. Jahrhundert finden sich ganz ähnliche Architekturgebilde auf dem Wienhäuser Tristanteppich 61) sowie in den Wandmalereien des Nonnenchors der Kirche in Wienhausen 62). Diese wenigen Beispiele ließen sich leicht vermehren.

Wo aber fand man die Vorbilder zu diesen seltsamen und mehr oder minder phantasievollen Architekturdarstellungen? Gewiß soll nicht bestritten werden, daß den Künstlern und Kunsthandwerkern und so auch den Stempelschneidern hier und da wirklich bestehende Baulichkeiten vorgeschwebt haben oder bekannt waren, die dann mit ihren Mitteln nachzubilden sie sich bemüht haben 63). Das sind aber ebenso wie beim Bildnis Ausnahmen. Weitaus überwiegend handelt es sich um rein dekorativ zu bewertende Ziermotive, denen in bestimmten Fällen höchstens eine gewisse symbolische Bedeutung zuerkannt werden kann (z. B. Himmlisches Jerusalem) 64). Wenn man darüber hinaus nach konkreten Vorbildern für die geschilderten Architekturdarstellungen suchen wollte, so gab es sie wenigstens auf deutschem Boden nicht 65). Die deutsch-romanischen Turm- gruppierungen der Kirchen gerade aus dem Brakteatengebiet, also etwa von Gernrode, Hildesheim, Halberstadt, Königslutter, Braunschweig, Magdeburg u. a. sehen ganz anders aus. Diese massigen Bauformen Niedersachsens und Ostfalens mit ihren durchweg zweitürmigen Westbauten haben auf den Brakteaten von Braunschweig, Quedlinburg, Halberstadt usw. keinerlei Niederschlag gefunden. Wir finden vielmehr auch hier auf den Münzen die zierlichen schlanken Kuppeltürme, Arkaden und Schirmdächer. Die Vorbilder aber hierzu sind auf ganz anderem Boden zu suchen. Wir finden sie im Kreise der spätantiken-orientalischen Baukunst und in den Kirchbauten von Syrien, Griechenland, Byzanz und Italien. Diese spätantike Formenwelt, jetzt nur noch rein dekorativ verwendet, lebte noch lange fort, ganz ähnlich, wie später die Formensprache der gotischen Baukunst auf alle Zweige der angewandten Kunst übertragen wurde. Für die rheinisch-westfälischen Städtesiegel des 12. und 13. Jahrhunderts hat Philippi bereits die antiken Vorbilder nachgewiesen und auch darauf aufmerksam gemacht, daß es Stadtmauern mit Zinnen und Türmen dieser Art im 12. Jahrhundert auf deutschem Boden noch kaum gegeben hat.

Neuerdings ist von einer bestimmten Gruppe von Brakteaten mit Gebäudedarstellungen gesprochen worden, die man als "Burgbrakteaten" bezeichnet hat 66). Man versteht darunter Gepräge, die ausschließlich Gebäude darstellen ohne figürliche oder heraldische Zutaten und in denen man das Symbol einer "befestigten Siedlung" erblicken will (vgl. oben Anm. 65). Ihr Ursprung liegt offenbar im Osten und im ostelbischen Gebiet, in der Oberlausitz und vor allem in Bautzen, wo diese Darstellungen bereits auf den Dünnpfennigen oder Halbbrakteaten um 1130-1135 vorkommen 67), dann sehr bald auch auf Brakteaten der Oberlausitz und der Mark Meißen 68). Von dort vollzieht sich im Elberaum abwärts vordringend ihre Verbreitung 69) über die Münzstätten Strehla, Belgern?, Torgau?, Wittenberg, Halberstadt, Magdeburg, Brandenburg bis an die Unterelbe mit Lüchow, Salzwedel, Hamburg und Stade 70). Die Verbreitung dieser Burgbrakteaten und ihre handelsgeschichtliche Erklärung hat Hatz bereits aufgezeigt 71). Der Stil und die Form der Gebäude auf diesen Brakteaten, die von der 1. Hälfte des 12. bis ins 13. Jahrhundert reichen, ist naturgemäß unendlich verschieden. Ob aber nun dem Stempelschneider eine "Burg" oder eine "befestigte Siedlung", um nicht zu sagen "Stadt", vorgeschwebt hat, immer folgte er in der Darstellung selbst nicht einem konkreten Vorbild, sondern seiner Phantasie und den Vorbildern, wie sie ihm die Kleinkunst bot, d. h. grundsätzlich den gleichen Vorbildern, wie sie den Brakteaten aus anderen deutschen Münzstätten zugrunde lagen und auf denen die Architekturen zumeist als Umrahmung für figürliche Darstellungen, Personen oder Wappentiere, auftreten. Das zeigen schon die frühen Kaschwitzer Dünnpfennige und die frühen Oberlausitzer und Meißener Brakteaten 72). Gewiß sind sie noch "archaisch" und wie Haupt selbst sagt, zum größten Teil häßlich, aber er sieht auch bereits ganz richtig, daß sie "die häßliche Vorstufe der schönen Westbrakteaten" sind 73).

Nach alle dem erscheint es mir nicht möglich, den Darstellungsmitteln nach zwischen "Burgbrakteaten" und Brakteaten mit architektonischer Umrahmung zu unterscheiden, ja, ich bin überzeugt, daß zumal in der Blütezeit der Brakteaten der gleiche Stempelschneider gleichzeitig "Burgbrakteaten" und "Rahmenbrakteaten" verfertigt hat, wie etwa in Magdeburg, Brandenburg und Meißen, ganz abgesehen davon, daß die letztgenannte Gruppe zahlenmäßig durchaus überwiegt 74). Auch auf den "Burgbrakteaten" also finden wir mehr oder weniger die gleichen architektonischen Zierformen, die sich, soweit ich sehe, zum al im Norden bis tief ins 13. Jahrhundert halten 75), während sie aus den Münzbildern der jüngeren Brakteaten von Mitteldeutschland, Ostfalen und dem südlichen Niedersachsen weitgehend verschwinden oder doch zusammenschrumpfen. Von der Seite der künstlerischen Formgebung und der Darstellungsmittel gesehen sind die "Burgbrakteaten" deshalb kein selbständiger Brakteatentyp, unbeschadet im übrigen ihrer symbolischen Deutung, die sich unserer Kenntnis noch zudem entzieht, und vor allem unbeschadet ihrer geld- und handelsgeschichtlichen Bedeutung und Verbreitung.

Wenn wir aber jetzt nach den unmittelbaren Vorbildern für die Architekturdarstellungen auf unseren Brakteaten suchen, so weist alles darauf hin, daß die deutschen Stempelschneider für ihre oft so phantastischen Gebäudedarstellungen ihre Vorlagen aus dem Kreise der Zierkünste entlehnt haben, die letzten Endes eben aus Byzanz kamen und dann in Deutschland um- und weitergebildet wurden.

Eine unmittelbare und für uns sehr lehrreiche Parallele haben wir in der mittelalterlichen Dichtung. Auch die Architekturschilderungen der Dichter sind Phantasiegebilde, die ihnen auf dem Umwege über die Kleinkunst bekannt geworden waren. Der Germanist Jost Trier 76) hat ausgeführt, daß alle diese Architekturphantasien in ihrer inneren Prägung etwas mit sich herumtragen, was aller Großarchitektur, d. h. allem monumentalen Denken zuwiderläuft. "Diese Neigung zum Kleinausgeführten, Spitzen, Feingearbeiteten, zum Ziselieren, zum kunsthandwerklich vollendet Sauberen, dieses schillernde Herausnehmen des Einzelteils, das isolierte Betrachten des Einzelteil ... , all das schlägt allem tektonisch-monumentalen Sehen und Denken ins Gesicht.« Und weiter spricht Trier von einer Überlagerung des groß beabsichtigten Bildes mit Darstellungsformen kleinkunsthafter, kunsthandwerklicher, zierkunstmäßiger Art. Das aber sind Gedanken, die so völlig zu dem Bilde der Brakteaten passen, und deshalb scheint mir auch der kritische Einwand von Lichtenberg 77) nicht stichhaltig, der es in Abrede stellt, daß alle Architektur vom Dichter nur aus innerer Schau dekorativer Kleinkunst geschildert sei. Er meint vielmehr, daß in den meisten Fällen architektonische Großformen der Wirklichkeit zugrunde liegen, die vom Dichter mit phantastischem Schmuck ausgestaltet worden seien. Ich kann dazu aus meiner Kenntnis und Sicht nur sagen, daß Triers Auffassung durchaus zu meiner Meinung paßt, und daß der Brakteatenkünstler wie der Dichter aus dem gleichen Geist heraus geschaffen haben. Auch dem Dichter werden die Darstellungen in den Miniaturen, Wandmalereien, Skulpturen und auch die Brakteaten nicht unbekannt gewesen sein, ja, letztere bestimmt nicht, da sie ja doch Geld und in aller Hände waren. Nur zu leicht sieht der Außenstehende die Brakteaten in unseren Sammlungen und ihre Abbildungen in Büchern als eine Art Kuriosität oder Besonderheit an und vergißt darüber ihren Geldcharakter. Gewöhnt seit vielen Jahrzehnten an ziemlich gleichförmiges Geld und zumeist auch wenig künstlerisch empfundenes Geld, kann sich der heutige Mensch gewiß schwer vorstellen, daß es einmal anders war, und daß man das Geld, schon wegen seiner größeren Wertigkeit und Kaufkraft, mit ganz anderen Augen ansah und auch auf die Bilder sah, die heute kein Mensch mehr beachtet. Aus der Geschichte der volkstümlichen Münznamen wäre dazu manches zu sagen.

Aber kehren wir nach dieser kleinen Abschweifung zurück zu den Vorbildern der Architekturdarstellungen auf den Brakteaten. Da aber sind es in erster Linie die schon mehrfach erwähnten Elfenbeinskulpturen, in denen wir die wichtigste Quelle zu suchen haben. Ein Blick in Goldschmidts großes Elfenbeinwerk 40) bietet uns eine Fülle von unmittelbaren Parallelen zwischen den Architekturdarstellungen auf Brakteaten und byzantinischen oder mehr oder weniger von ihnen abhängigen deutschen Elfenbeinschnitzereien, und zwar zurückreichend bis ins 9. und 10. Jahrhundert. Als besonders charakteristisch nenne ich hier folgende Stücke:

1. Tragaltar mit der Geburt Christi, 11. Jh., in Darmstadt. Goldschmidt II. Taf. XXXII Nr.103b. (siehe Taf.17).

2. Buchdeckel mit der Darstellung der Frauen am Grabe. Belgisch-rheinisch? 2. Hälfte 11. Jh. Florenz, Museo Nazionale. Goldschmidt II. Taf. XLVI Nr.162 (siehe Taf.16).

3. Buchdeckel um 1000. Lüttich. Evangelist Markus. Münster, Landesmuseum. Goldschmidt II. Taf. XIV Nr.45 (siehe Taf.15).

4. Buchdeckel um 1100. Belgisch-rheinisch? Verkündigung. Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum. Goldschmidt II. Taf. XLVI Nr.160 (siehe Taf.18).

5. Elfenbeintafel eines buchförmigen Reliquiars aus der Maasgegend, 11. Jh., im Welfenschatz 78).

Alle diese Architekturen aber, die auf diesen Elfenbeinen und dann in den Minaturen usw. begegnen, sind, wie Goldschmidt sagt: "keine richtig gesehenen Interieurs, sondern eine dekorative Zusammensetzung von baulichen Einzelheiten, wie sie der Phantasie der damaligen Künstler vorschwebten. Sie geben damit nur Andeutungen von Umständen, die sie erzählen wollen, ohne ein klares optisches Bild der Räumlichkeit zu besitzen. Alle diese Architekturteile sind Reste von Bauformen, die schon in altchristlicher Zeit der ersten Jahrhunderte von der bildenden Kunst dargestellt wurden, als man die Bauwerke noch mit mehr Realität zur Erscheinung brachte" 79). Bei der weiten Verbreitung der Elfenbein-schnitzereien und sonstigen Erzeugnisse der Kleinkunst Ostroms, dieser "Konserven der Antike", die "unter ihrer Spätform Unsterbliches bewahrten" 80), nimmt es nicht wunder, wenn man in früh staufischer Zeit, als die Berührung mit dem Orient frische Nahrung erhielt, immer wieder von ihnen gelernt hat und wir auch in der großen Plastik hier und da geradezu überraschende Anklänge an die griechische Antike verspüren 81).

Diese Vorbilder aber haben die deutschen Stempelschneider im freien Spiel ihrer Phantasie und dem deutschen Empfinden entsprechend lediglich für ihre besonderen Zwecke verwertet und die Elemente einer an sich fremden Formenwelt benutzt als dekorativen Rahmen für ihre Münzbilder und in sie hineingestellt die deutsche Welt mit ihren Königen, Herzögen, Grafen, Bischöfen, Äbten und Heiligen, den Wappentieren oder ganzen Szenen aus dem Leben der Heiligen. Wir staunen über die immer neue Abwandlung, die man fand oder erfinden mußte bei der häufigen Erneuerung der Pfennige. Man mußte zudem der eigentlichen Zweckbestimmung der Münze als Geld Rechnung tragen, ihrer Stellung im Rechts- und Wirtschaftsleben. Die Brakteaten sind deshalb so ungemein kennzeichnend für die so oft beobachtete Fähigkeit der deutschen Kunst, fremde Kunst- und Kultureinflüsse zu etwas völlig Neuem umzuprägen. Sie sind außerdem eine Bestätigung von Pinders Feststellung, daß in der frühstaufischen Periode und zumal in der Plastik das kleine Format am Anfang steht. "Damit das Klassische erreicht werde, muß das Kleine groß, das Gerätehafte lebendig, das Flächenhafte körperlich gemacht werden" 82). Dieser Gedanke, der auch später wieder bei Pinder anklingt 83), erklärt auch das Phänomen der Brakteaten nach einer Richtung hin in klarer und eindringlicher Weise, obwohl Pinder die Brakteaten nur an einer Stelle und wohl fußend auf Swarzenski (s.o.) bei Gelegenheit des Braunschweiger Löwen erwähnt 83). Es will aber doch so scheinen, daß ebenso wie die Kunst der Goldschmiede auch die ihr nahe verwandte und in vielen Fällen gewiß auch personengleiche der Brakteatenstempelschneider zu einem Teil die unmittelbare Vorarbeit geleistet hat für die große Form der spätstaufischen deutschen Plastik.

Man vergegenwärtige sich auch einmal die soviel weitere Verbreitung der Münzgepräge im täglichen Geldumlauf und damit ihre Wirkung im Volk gegenüber etwa einem Heiligenschrein, Tragaltar oder Reliquiar der Goldschmiede. Das waren Kostbarkeiten, die immer nur in der Kirche oder zu gewissen Festtagen den Blicken und der großen Masse zugänglich und sichtbar waren. Es mag zunächst befremdlich erscheinen, daß gegenüber dem sonst in der Kunst des Mittelalters so stark oder sogar ausschließlich bevorzugten Gebiet des Bilderkreises der christlichen Kirche die Brakteaten einen überwiegenden weltlichen Bildinhalt aufweisen. Es fehlen völlig die Darstellungen Christi oder seines Lebens, auch die Maria und die Evangelisten mit ihren Symbolen. Lediglich die Heiligen der großen Kirchen als die Patrone und Repräsentanten ihres Münzortes, die hll. Stephan in Halberstadt, Laurentius in Merseburg, Moritz in Magdeburg oder die Apostel Simon und Judas in Goslar begegnen auf zahlreichen schönen Geprägen. Meistens aber sind es weltliche Vorstellungen, die den Brakteatenbildern Inhalt und Gestalt verleihen, wie die Darstellungen der geistlichen und weltlichen Fürsten mit allen Zeichen und Attributen ihrer Würde und Macht. Die Betonung des Kriegerischen, des Rittertums mit ihren gewappneten Fürsten stehend oder hoch zu Roß, als die sich selbst Bischöfe darstellen ließen (Heiligenstadt). Das Wappenwesen wirft seine Schatten voraus, und gerade die Brakteaten Heinrichs des Löwen haben uns das eindringlich gezeigt. Dieses durchaus weltlich-erzählende Moment, das sich auch in der folgenden Periode des 13. Jahrhunderts z. B. auf den fränkisch-bayerischen Pfennigen mit ihren volkstümlich-phantastischen Bildern bemerkbar macht 85) und auch auf den Brakteaten etwa die Legenden der hll. Stephan und Lorenz in ganzen figurenreichen Szenen zu erzählen weiß, erklärt sich ohne weiteres aus dem Zweck der Münzbilder, die eben keine Erbauungsbilder, sondern möglichst sinnfällige und dem "gemeinen Manne" ohne weiteres verständliche und einprägsame Symbole des Münzherren und der Münzstätte sein sollten. Wie überhaupt die Kunst der Stauferzeit keineswegs mönchisch-asketisch eingestellt war, sondern die Welt der Erscheinungen und alles Wirkliche freudig bejahte, so macht davon die Münzkunst keine Ausnahme, ja es dringen hier mit aller Unbefangenheit aus allen möglichen Quellen gespeiste Elemente ein, die mit der christlichen Kirche nichts mehr gemein hatten 86). Wenn von manchem schönen Brakteatenbild dennoch zuweilen ein kirchlich-religiöser Stimmungsgehalt ausgeht, so ist doch wiederum etwa die Darstellung der Beziehungen zwischen dem geistlichen Münzherren und dem Heiligen seiner Stiftskirche (Erfurt, Nordhausen, Magdeburg, Fulda, Hersfeld) als eine ganz persönliche und im besten Sinne volkstümliche gedacht und gebildet. Die Brakteaten entsprechen damit den engen Beziehungen zwischen Münze und Volk und einem gewiß zumeist unbewußten Empfinden von Münzherren und Stempelschneidern für ein Gepräge, das eindringlich dem Volke in seiner Gesamtheit verständlich war als ein Sinnbild der Münzhoheit und seines Herren wie zugleich als eine bildhafte Wiedergabe eines dem Volke zuinnerst vertrauten Gedankengutes 87).

In diesem Zusammenhange wird man auch Günthers Gedankengängen gerecht werden können, wenn er von wirklichkeitsfreudigen und volkstümlichen Strömungen spricht, die in der Stauferzeit empordrängten und auch auf die Kunst einzuwirken begannen. Die Form aber, in die sich diese Strömungen zunächst kleideten, bediente sich der Vorbilder einer zunächst fremdartigen Hochkultur, die aber damals als schöner und wohl auch hochstehender empfunden werden mußte. So verbinden sich gewiß in den deutschen Brakteaten und ihrer altehrwürdigen Technik deutsch-volkstümliche Elemente mit fremden Formidealen zu einer Erscheinung, die in liebevoller Vertiefung in den kleinen Maßstab den unerhörten Aufschwung der deutschen Bildnerei im 13. Jahrhundert ahnen läßt.

Ich bin mir bewußt, mit den Ergebnissen dieser Untersuchung und im Anschluß an unseren Fund noch keineswegs alle Fragen des Brakteatenproblems gelöst zu haben. Da ist noch zu bedenken die auffallend kurze Blütezeit der Brakteatenkunst, die nur wenige Jahrzehnte, etwa von 1160 bis 1200, gedauert hat, um im Verlaufe des 13. Jahrhunderts einem schnell zunehmenden Verfall entgegenzugehen, also zu einer Zeit, als auf den anderen Gebieten des deutschen Kunstschaffens und vor allem in der großen Plastik von Bamberg, Straßburg und Naumburg die höchsten und reifsten Leistungen erreicht wurden. Es will fast so scheinen, daß die Kräfte, die sich im 12. Jahrhundert für die Brakteaten eingesetzt hatten, sich nunmehr anderen und größeren Aufgaben zugewandt hätten, und daß die Brakteaten ihre Mission, als Wegbereiter zur Verfeinerung des Formgefühls beizutragen, erfüllt hätten. Wir beobachten hier wieder das eingangs erwähnte Auseinanderfallen von Münzkunst und dem übrigen Kunstschaffen, ohne eine Erklärung dafür geben zu können. Sie kann m. E. nur auf rein technischem und wirtschaftlichem Gebiet liegen.

Wir fragen uns ferner, weshalb die im allgemeinen etwas jüngeren Brakteaten des süddeutschen Brakteatengebietes künstlerisch so sehr zurückstehen gegenüber den nord- und mitteldeutschen Geprägen? Und weiter, wie es zu erklären ist, daß der gesamte deutsche Westen links der Weser und der fränkisch-bayerisch-ostmärkische Süden überhaupt nicht teilgenommen haben an dieser Münzkunst, daß man sich im Rhein- und Maasgebiet, der Heimat gewiß eines hochentwickelten Kunstgewerbes, mit zweiseitig geprägten Münzen begnügte, die zwar keineswegs unschön oder völlig kunstlos sind, die aber doch einen Vergleich mit den Brakteaten in keiner Weise aushalten können? In Köln wird der alte karolingische Münztyp mit dem dreizeiligen Ortsnamen, Kreuz oder antikisierendem Tempel bis ins 11. Jahrhundert beibehalten. Die ersten Bildnisse erscheinen erst unter Kaiser Konrad II. (1024-39) und Erzbischof Anno (1056-75), hier auch zuerst die dreitürmige Gebäudegruppe, die dann wiederum in mehr oder weniger veränderter Form und allmählich durch Zutaten bereichert wiederkehrt bis ins 12. und 13. Jahrhundert. Diese Architekturbilder sind zuweilen stilistisch denen der Brakteaten verwandt, ohne aber jemals dekorativ so reich entwickelt zu sein 88). Der Einfluß der kölnischen Vorbilder reicht über ganz Westfalen bis an die Weser und darüber hinaus bis ins Brakteatengebiet, im Westen bis in die niederländischen Territorien 89).

Auf die hier aufgeworfenen Fragen schon eine befriedigende Antwort zu geben, wäre verfrüht. Wir erinnern uns aber einer feinen Beobachtung von Wilhelm Pinder, der von der salischen Zeit sagt: "Die Plastik gibt das Tiefste, wo die Ottonen den Grund zu aller deutschen Kunst gelegt haben: Um den Harz, in Magdeburg, Gernrode, Merseburg, Hildesheim" 90), und später im Kapitel über die frühstaufische Kunst: "Es bleibt beachtenswert, daß diese in ungemein hohem Maße selbständige und ausdrucksvolle Kunst altottonischem Boden entsprießt, daß hier das Frühstaufische im Ottonischen wurzelt und selber das Hochstaufische erzeugt. Hier wird in freier Entfaltung ein Hauch echter Klassizität gewonnen bei leiser, höchst schöpferischer Auseinandersetzung mit byzantinischer Kleinkunst, bei freier und unabhängiger erster Kenntnis des Französischen" 91). Und ganz ähnlich sagt Baum 92), "daß seit 1200 in Niedersachsen zuerst die Wege gebahnt seien zu einer durchaus deutschen Kunstgestaltung und für Werke, die nur aus der deutschen Seele heraus erklärt werden können".

Das aber sind gerade die Gebiete, in denen sich im 12. Jahrhundert die Brakteatenkunst zu so hoher Blüte entfaltet hat, als ein Vorbote gleichsam der hohen Kunst und auf alle Fälle als ein Zeugnis echt deutscher Vertiefung in das Kleine, aus dem dann Großes geboren wurde. Daß Braunschweig zur Zeit Heinrichs des Löwen einen so hervorragenden Anteil an dieser Kunst gehabt hat, nimmt uns nach dem oben Gesagten nicht wunder. Man sollte also in Zukunft diese schönen Brakteaten, das tägliche Geld der Zeit, nicht vergessen, wenn von Braunschweiger Kunst Heinrichs des Löwen, wenn vom Dom und Burglöwen die Rede ist, und das Gleiche gilt für Hildesheim. Diese Pfennige sind an Format zwar bescheidene, aber nichtsdestoweniger ebenbürtige auf dem gleichen Baum gewachsene Kunsterzeugnisse, und wir haben allen Grund dafür dankbar zu sein, daß der Boden von Mödesse sie uns erneut in so großer Zahl und zugleich in neuen Erscheinungen getreulich bewahrt und jetzt nach mehr als 750 Jahren wieder herausgegeben hat.



Startseite Numismatische Texte coingallery.de